Verfasser: Gott
Schreiber Petrus
Thema: Die letzten Tage
Datum der Niederschrift: ca. 66 n. Chr.
DER ZWEITE BRIEF DES PETRUS
und der 2. Timotheusbrief haben viel Gemeinsames.
In den beiden Briefen erwarten die Verfasser den Märtyrertod (2. Tim. 4, 6: 2. Petrus. 1, 14; vgl. Job. 21. 18-19):
beide haben einen freudigen Ton: beide sehen den Abfall vom Glauben voraus, der in «den letzten Tagen» (2, 1-3, 9: 2. Tim. 3) kommen wird.
Eine ähnliche Betonung der Gefahr der falschen Lehre handelt sich in 1. Joh. 4. 1-5, in 2. Joh. 7-11, und im Judasbrief.
Die besondere Bedeutung des Briefes liegt in den beredten und umfassenden Bezeichnungen des Abfalls in Lehre und Leben (2,1-3, 3).
Aber es werden auch andere wichtige Fragen in diesem Brief behandelt: Petrus besteht darauf,
dass der Gläubige seine «Berufung und Erwählung» unter Beweis stellen muss durch die Ausübung der christlichen Tugenden (1, 4-14); er berichtet seine persönliche Erinnerung an die Verklärung Christi (1, 15-18):
er lehrt die Echtheit der inspirierten Prophetie (1, 19-21) und das Kommen des Herrn (3, 4-13): er ermahnt zu geistlichem Eifer und zur Beharrlichkeit (3, 14-17).
Der Brief kann folgendermassen eingeteilt werden:
Einleitung, 1, 1-2.
I. Die grossen christlichen Tugenden, 1, 3-14.
II. Die Erinnerung an die Verklärung, 1, 15-18.
III. Die Herrlichkeit der prophetischen Schriften, 1, 19-21.
IV. Warnungen vor falschen Lehrern, 2, 1-3, 3.
V. Das zweite Kommen Christi und der Tag des Herrn, 3, 4-16. Schluss, 3, 17-18.
Reihenfolge in 2. Petrus 1.5-10
Elberfelder 1905 | |
2. Petrus | |
2. Petr 1,4 durch welche er uns die größten und kostbaren Verheißungen geschenkt hat<O. durch welche uns … geschenkt sind>, auf daß ihr durch diese Teilhaber der göttlichen Natur werdet, indem ihr dem Verderben entflohen seid, das in der Welt ist durch die Lust; | Verheiß.: 2. Kor 1,20; Eph 3,6 teilhaftig: Joh 1,12-13; 1. Joh 3,1-2 Verderben: Gal 1,4; Eph 4,22 |
2. Petr 1,5 ebendeshalb reichet aber auch dar, indem ihr allen Fleiß anwendet<O. aufbietet; W. hinzubringet>, in eurem Glauben die Tugend<O. Tüchtigkeit, geistliche Energie, Entschiedenheit>, in der Tugend aber die Erkenntnis, | Glauben: Kol 2,6-7 Tugend: Phil 4,8; 1. Petr 2,9 Erkenntnis: Phil 1,9 |
2. Petr 1,6 in der Erkenntnis aber die Enthaltsamkeit<O. Selbstbeherrschung>, in der Enthaltsamkeit aber das Ausharren, in dem Ausharren aber die Gottseligkeit, | Selbstbeh.: Gal 5,22 Ausharren: Kol 1,11; Jak 1,3-4 Gottesfurcht: 1. Tim 4,8 |
2. Petr 1,7 in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die Liebe. | Bruderl.: 1. Petr 1,22 Liebe: 1. Petr 4,8; 1. Joh 4,8; 1. Joh 4,20-21 |
2. Petr 1,8 Denn wenn diese Dinge bei euch sind und reichlich vorhanden, so stellen sie euch nicht träge noch fruchtleer hin bezüglich der Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus. | Joh 15,4-8; Tit 3,14 |
2. Petr 1,9 Denn bei welchem diese Dinge nicht sind, der ist blind, kurzsichtig und hat die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen. | Dinge: Kol 1,9-11; Gal 5,22 Reinigung: 1. Joh 1,7-9; Hebr 9,14 |
2. Petr 1,10 Darum, Brüder, befleißiget euch um so mehr, eure Berufung und Erwählung fest zu machen; denn wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln. | fest: 1. Kor 9,24; Phil 2,12 niemals: 1. Kor 10,13; 1. Joh 3,6; 1. Joh 5,4 |
2. Petr 1,11 Denn also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. | Mt 25,34 |
Biblische Glaubenslehre ist aber kein Selbstzweck,
sondern ein Fundament, auf dem gebaut werden muss, oder allgemeiner gesagt: ein Mittel zu höheren Zwecken.
Zu diesen höheren Zwecken gehören die sieben von Petrus genannten Dinge:
1. Tugend;
2. Erkenntnis;
3. Selbstbeherrschung;
4. Ausharren;
5. Gottseligkeit;
6. Bruderliebe;
7. Liebe.
4 durch die er uns die grössten und kostbaren Verheissungen geschenkt hat, damit ihr durch diese Teilhaber der göttlichen Natur werdet, indem ihr entronnen seid dem Verderben, das in der Welt ist durch die Lust;
Gott hat uns in seiner Berufung »die grössten und kostbaren Verheissungen geschenkt«.
Diese Verheissungen sind kostbar. Bedenken wir, was sie beinhalten:
Vergebung der Sünden, und das für immer (Hebr 8,12);
Rechtfertigung (Röm 5,1);
ewiges Leben (Joh 5,24);
Kindschaft (Joh 1,12) und
Sohnschaft (Röm 8,14.15);
Zugang zum Vater (Eph 2,18);
Gottes Beistand (Röm 8,31; Mt 28,20);
die Fürbitte des Herrn (Röm 8,34; Hebr 7,25);
das Wirken seines Geistes, der ins uns bleibt (Joh 14,15-17);
Gottes Macht, die uns bewahrt (1Petr 1,5);
ein ewiges Erbe im Himmel (1Petr 1,4);
Teilhabe an Gottes Herrlichkeit (1Thes 2,12; Offb 21,11).
Bedenken wir, um welchen Preis diese kostbaren Verheissungen uns erworben wurden:
Wir haben die Vergebung der Vergehungen und die Erlösung durch sein Blut (Eph 1,7; 1Petr 1,18.19).
Wir haben die Rechtfertigung durch seinen Tod und seine Auferstehung (Röm 4,25).
Wir haben das ewige Leben durch die Dahingabe des Sohnes (Joh 3,16).
Es sind die grössten Verheissungen,
d. h. dass Gott uns das Grösste gegeben hat und geben wird, das er geben kann: seinen Sohn (Röm 8,32)
– und damit die Stellung als Söhne und das Erbe, das den Söhnen gehört (Röm 8,15-17).
Alle diese Verheissungen sind uns gegeben mit einem ganz bestimmten Zweck:
»damit ihr durch diese Teilhaber der göttlichen Natur werdet«.
Das ist es, was Gott bewirken wollte, als er uns diese Verheissungen gab und verwirklichte: Wir Sünder sollten seine Natur bekommen.
Diese Natur hat Gefallen an allem, was Gott uns gegeben hat.
Hätte er uns lediglich alles bereitet, was wir für das Leben der Gottseligkeit brauchen, uns aber nicht auch eine neue Natur gegeben, könnten wir mit allen seinen Gaben nichts anfangen.
Sie würden uns nichts bedeuten; wir könnten sie nicht verwenden.
Nun aber wohnt Gottes Geist in uns; wir sind von Gott gezeugt (Jak 1,18),
aus ihm geboren (1Jo 5,1)
und zu ihm gebracht (1Petr 3,18).
Wir heissen Gottes Kinder (1Jo 3,1)
und Brüder des Erstgeborenen (Röm 8,29; Hebr 2,11.12).
Darum haben wir Freude an Gott, an seinem Heil und an allem, was er uns gegeben hat,
damit wir unsere Errettung ausleben können (vgl. Phil 2,12.13).
Durch Gottes Berufung und durch Gottes Kraft entrinnen wir »dem Verderben, das in der Welt ist«.
Wer den Sohn Gottes in Wahrheit erkannt und dadurch der göttlichen Natur teilhaftig geworden ist, ist der Welt und damit dem Untergang entflohen; er ist entronnen dem Zorn Gottes, der über der Welt und ihrer Gottlosigkeit steht (Röm 1,18; 1Thes 1,10).
Er wird in kein Gericht kommen, sondern er ist aus dem Tod in das Leben hinübergegangen (Joh 5,24). Welche Befreiung! Jetzt müssen wir um unser ewiges Geschick nicht mehr in Sorge sein. Jetzt haben wir den Rücken frei, uns ganz der Sache Gottes zu widmen; jetzt brauchen wir uns um unser eigenes Wohlergehen keinen Kummer mehr zu machen. Jetzt sind wir zu Gott gebracht worden und sehen in seinem Licht das Licht (Ps 36,10): Wir erkennen die Vergänglichkeit, die Eitelkeit und die Verlogenheit der Welt; wir sehen die ganze Leere hinter ihrem falschen Glanz; wir durchschauen unter den blanken Oberfläche die innere Fäulnis. Wir stehen da und sehen, wie die Welt beharrlich dem Wahn huldigt, sie bleibe ewig (Ps 49,12). Wir sind dem Verderben entronnen, weil die Sünde, die das Verderben wirkt, keinen Anspruch mehr an uns hat. Wir sind von der Schuld, der Macht und den ewigen Folgen der Sünde befreit, und das heisst, dass wir der Sünde nicht mehr dienen müssen. Es gibt keinen Grund mehr, nicht zu wachsen in der Gnade und in der Heiligung. Wir jagen nicht mehr den Zielen der vergänglichen Welt, sondern einem ganz anderen Ziel nach: »dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus« (Phil 3,14).
»Verderben«, ϕθορα, phthora. »Verderben« kommt in diesem Brief auffällig oft vor, nämlich ganze neun Mal; dabei steht 4-mal dafür das Wort phthora (1,4; 2,12 [2-mal]; 2,19), 5-mal steht dafür das Wort απωλεια, apōleia (2,1 [2-mal]; 2,3; 3,7.16). Das entsprechende Verb απολλυμι, apollymi, kommt 2-mal vor (3,6.9; das gleiche Verb, das in Joh 3,16 steht).
In den jetzt folgenden Versen beschreibt der Apostel eine Reihe von Tugenden, die wie die Glieder einer Kette aneinanderhängen. Wir wollen sie eine »Tugendkette« nennen, die uns so an Gott bindet, wie die Sünden-kette uns an das Verderben band.
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5 ebendeshalb, indem ihr allen Fleiss aufwendet, reicht dar in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend aber die Erkenntnis,
Die Kette, die mit diesem Vers beginnt, besteht aus lauter Gliedern, die aneinanderhängen. Kein Glied kann für sich allein bestehen, keine der hier genannten Tugenden können wir losgelöst von den anderen kultivieren.
»ebendeshalb …«: Weshalb? Das hat Petrus in den Versen 3 und 4 gesagt:
1. Gottes Kraft gibt uns alles zu einem Glaubensleben, das Gott gefällt.
2. Wir sind Teilhaber der göttlichen Natur geworden.
3. Wir sind entflohen dem Verderben, das in der Welt ist.
Dieser Dinge wegen sollen wir mit aller Entschiedenheit unsere Berufung ausleben. Wir müssen mit allem Fleiss den Glauben wirksam machen, diesen kostbaren Glauben (V. 1), den wir zusammen mit Petrus und allen übrigen Heiligen bekommen haben und besitzen.
Lasst uns bedenken: Damit, dass Gott uns von Neuem gezeugt hat, ist seine Natur unsere Natur. Christus wohnt in uns, und wir heißen darum nach ihm: Er ist der Christus; wir heissen Christen. Uns ist alles gegeben für unser ganzes Leben als Erlöste. Wir können das alles vergleichen mit einem neugeborenen Kind: Das Kind hat das Leben und die Natur seiner Eltern, und es hat einen vollkommenen Leib mit allen Organen und An¬¬lagen, die es zum menschlichen Leben braucht. Nur sind diese Anlagen und Organe noch nicht ausgewachsen. Ebenso wenig sind wir mit der Wiedergeburt schon erwachsen in Christus (vgl. Eph 4,13). Gott hat uns aber alles gegeben, damit wir wachsen können. Es war Gottes Wille, uns seine Natur zu geben, und es ist seine Freude, zu sehen, wie sich an seinen Kindern die Eigenschaften seines Sohnes entfalten.
»indem ihr allen Fleiss aufwendet«: Was wir tun, müssen wir mit Fleiss (oder Eifer), σπουδη, spoudē, tun. Sind wir errettet worden, dürfen wir nicht träge bleiben. Hat uns Gott alles gegeben, müssen wir nun alles geben.
Fleiss ist eine Tugend der Erwählten. Am Fleiss erkennt man sie. Wenn jemand nicht fleissig ist, müssen wir uns fragen, ob er ein Erwählter sei.
Siehe Röm 12,8.11; 2Kor 7,12; 8,7; Hebr 4,11; 6,11; 2Petr 1,10; 3,14; Jud 3.
Alles von Petrus hier beschriebene Wachstum beginnt damit, dass wir Fleiss aufwenden, dass wir uns anstrengen. Uns ist das Heil und alles, was zum Heil gehört, geschenkt worden, ganz aus Gnade. Die wahre Gnade Gottes ist eine wirksame Gnade; sie drängt uns und sie befähigt uns, Gottes Willen zu tun und so zu leben, wie Gott will (1Kor 15,10). Das ist unsere Verantwortung; wer passiv bleibt, wird nicht wachsen; wer sich gehen lässt, wird bald von der Sünde überwältigt werden, und das Leben aus Gott wird ersticken. Wenn wir nicht fleissig sind, wird unser Glaube einschlafen, wird unsere Erkenntnis verkümmern, wird unsere Liebe erkalten.
Wer gesund ist im Glauben, wird stets von einer heiligen Unzufriedenheit getrieben: Er ist mit dem Erreichten nicht zufrieden; er will den Herrn besser erkennen, er will ihn inniger lieben, er will ihm treuer dienen, er will den Geschwistern nützlicher sein. Gefährlich wird es, wenn wir mit unserem Zustand zufrieden sind wie die Laodizeer (Offb 3,17).
»reicht dar«, επιχορηγειν, epichorēgein, das gleiche Verb, das unten in V. 11 verwendet wird. Es kommt ausser hier noch vor in 2Kor 9,10; Gal 3,5; Kol 2,19. Von diesem Verb wird das Hauptwort επιχορηγια, epichorēgia, »Darreichung«, gebildet, das in Eph 4,16 und Phil 1,19 belegt ist. Das Verb wird von Luther und Schlachter ebenfalls mit »darreichen« übersetzt. Louis Segond, KJV und ASV übersetzen: »fügt zum Glauben hinzu die Tugend«; Darby: »habt im Glauben Tugend«; Svenska Folkbibeln »weist im Glauben Tugend auf«.
Wir sollen in unserem »Glauben die Tugend« darreichen, oder: zum Glauben die Tugend hinzufügen.
Der Glaube muss wirksam werden in der Liebe (Gal 5,6).
Der Glaube muss Werke und Wirkungen des Glaubens hervorbringen.
Das haben die Apostel alle gelehrt.
Paulus lehrte, dass die, die an Gott gläubig geworden sind, Sorge tragen müssen, gute Werke zu tun (Tit 3,8).
Glauben und Umkehr müssen »der Umkehr würdige Früchte« (Lk 3,8) hervorbringen.
Jakobus fragt: »Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber nicht Werke?« (Jak 2,14).
Oder anders gesagt: Der Glaube muss uns verändern.
Das griechische Wort für »Tugend«, aretē, hat einen weiten Bedeutungsumfang.
<Das Wörterbuch von Benseler-Kägi bietet für aretē folgende Reihe von Begriffen:
Tüchtigkeit, Tauglichkeit, Trefflichkeit, Güte, Vollkommenheit, Herrlichkeit, Stärke, Gewandtheit, Schönheit, Ehre, Glück,
Gedeihen, Ergiebigkeit, sittliche Güte, Seelengröße, Tugend, Rechtlichkeit, Edelmut, Dienstfertigkeit, Verdienst, Unschuld,
Geschicklichkeit, Energie des Willens, edelmütige Gesinnung, oder auch Tapferkeit, und so besonders im Plural die Heldentaten,
auch Tugendruhm, Heldenruhm.>
Wenn die aretē die Summe von Gottes Eigenschaften ist (1Petr 2,9), dann ist hier die aretē ein Sammelbegriff für die geistlichen und moralischen Eigenschaften, mit denen Gott uns ausgestattet hat wie Gehorsam, Beharrlichkeit, Treue, Selbstlosigkeit, Liebe usw. »Im Glauben die Tugend darreichen« heißt demnach, darum besorgt zu sein, dass die göttlichen Tugenden sich entfalten, oder anders gesagt: dass die Eigenschaften der göttlichen Natur (V. 4) immer klarer hervortreten.
Das bedeutet aber, dass es nicht genügt, den richtigen Glauben zu kennen. Das meinen zwar die meisten Menschen. Die Muslime denken, es genüge, dass man an den richtigen Propheten und an sein Buch glaube. Im Interesse des rechten Glaubens könne man auch lügen und morden. Der Glaube der Katholiken besagt, Hauptsache sei, dass man das rechte Glaubensbekenntnis spreche und zur richtigen Kirche gehöre; darum hat der Bischof von Rom gemeint, man dürfe mit List und Betrug Ketzer in Fallen locken und verbrennen. Protestanten haben vielfach geglaubt, es genüge, das richtige Glaubensbekenntnis und die richtige Auffassung vom Abendmahl zu haben, und wer ihr Verständnis von den Sakramenten nicht teilt, den dürfe man lästern oder müsse ihn gar vertreiben.<Wir denken daran, wie Lutheraner die Reformatoren Zwingli, Calvin und deren Mitarbeiter systematisch verteufelt haben; wir denken an die Vertreibung von Täufern; wir denken daran, wie man Glaubensbrüder, die in Schiffen vor den blutigen Verfolgungen im wieder katholisch gewordenen England geflohen waren und im protestantischen Hamburg Zuflucht suchten, wieder aufs Meer zurückschickte, weil sie nicht an die »Realpräsenz in den Elementen« glaubten.>
Anhänger der Brüderbewegung (AV - Exklusive Darbysten) glauben zwar nicht an Sakramente, ?? aber sie haben ähnlich wie die Lutheraner eine sehr bestimmte Auffassung vom "Abendmahl", [....]
nämlich die von der
»Darstellung der Einheit am Tisch des Herrn«;
und diese Auffassung haben sie zur alles entscheidenden Glaubenslehre erhoben:
Wer ein anderes Verständnis darüber hat, wie man die Gemeinschaft darstelle,
dem müsse man die Gemeinschaft verweigern, weil er nicht von der AV Darbysten Movement zum:
"Tisch des Herrrn" zugelassen sei ..... also gegen das Gebot der Gemeinschaft selbst sündigen.
Biblische Glaubenslehre ist aber kein Selbstzweck, sondern ein Fundament, auf dem gebaut werden muss,
oder allgemeiner gesagt: ein Mittel zu höheren Zwecken. Zu diesen höheren Zwecken gehören die sieben von Petrus genannten Dinge:
MacDonald-Kommentar
1,5 Die Verse 3 und 4 zeigen, dass Gott uns alles gegeben hat, was für das Leben aus Gott notwendig ist. Weil er das getan hat, müssen wir uns eifrig darin üben. Gott heiligt uns nicht gegen unseren Willen oder ohne unsere Mithilfe. Von unserer Seite ist dazu Verlangen, Entschiedenheit und Disziplin vonnöten.
Als Petrus über die christliche Wesensart schreibt, setzt er den »Glauben« voraus. Schliesslich schreibt er an Christen – an diejenigen, die den rettenden »Glauben« an den Herrn Jesus schon besitzen. Deshalb trägt er ihnen nicht auf zu glauben, sondern nimmt den Glauben als gegeben an.
Eines ist jedoch nötig, und zwar die Tatsache, dass der »Glaube« von sieben Elementen der Heiligung ergänzt wird - nicht von einem Element nach dem anderen, sondern von allen Tugenden gleichzeitig.
Tom Olsons Vater pflegte seinen Söhnen den Abschnitt folgendermassen vorzulesen:
dem Mut Davids die Weisheit Salomos,
der Weisheit Salomos die Geduld Hiobs,
der Geduld Hiobs die Frömmigkeit Daniels,
der Frömmigkeit Daniels die brüderliche Freundlichkeit Jonatans,
und der brüderlichen Freundlichkeit Jonatans
die Liebe des Johannes.
Lenski ist folgender Ansicht:
Diese Siebenerliste wurde bezüglich der falschen Propheten (2,1)
und im Blick darauf geschrieben, wie sie ihr Leben nach ihrem vorgeblichen Glauben führten. Das Lob ersetzen sie durch Verunehrung, die Erkenntnis durch Blindheit, die Selbstbeherrschung durch von Zügellosigkeit geprägte Freiheit, das Ausharren im Guten durch das Ausharren im Bösen, die Gottseligkeit durch die Gottlosigkeit, die brüderliche Freundlichkeit durch Abneigung gegen die Kinder Gottes, die wahre Liebe durch eine furchtbare Lieblosigkeit.
<(1,5) R. C. H. Lenski, The Interpretation of the Epistles of St. Peter, St. John and St. Jude, S. 266.>
1. Tugend;
2. Erkenntnis;
3. Selbstbeherrschung;
4. Ausharren;
5. Gottseligkeit;
6. Bruderliebe;
7. Liebe.
Diese Zwecke sind wiederum Mittel, die einem höheren Zweck dienen: Wir sollen Frucht tragen (V. 8). Aber auch das ist kein Endzweck. Petrus liefert hier nicht lediglich eine Anleitung, damit wir möglichst viel Wirkung haben und Ergebnisse produzieren. Der Herr will, dass seine Jünger Frucht tragen; dazu hat der Sohn Gottes sie erwählt (Joh 15,16); denn darin wird Gott verherrlicht (Joh 15,8). Die Verherrlichung Gottes schliesslich ist der Endzweck von allem. Entsprechend schliesst Petrus seinen Brief mit den Worten: »Ihm sei die Herrlichkeit, sowohl jetzt als auch auf den Tag der Ewigkeit! Amen« (3,18b).
»in der Tugend aber die Erkenntnis«: Wenn wir mit Eifer darum ringen, dass die Tugend wächst, muss das mit Erkenntnis geschehen: Erkenntnis Gottes und seines Willens, Erkenntnis seiner Wege und Ratschlüsse, Erkenntnis seiner Gebote und Verheissungen, seiner Ordnungen und Gaben. Eifer ist gut, aber Eifer allein genügt nicht. Eifer ohne Erkenntnis (siehe Röm 10,2) ist gefährlich oder sogar schädlich. Erkenntnis finden wir im Wort Gottes, und das wiederum heisst, dass wir Bibelleser sein müssen, Leute, die die Bibel fleißig, regelmäßig, systematisch lesen; jeden Tag im Wort Gottes sammeln (Spr 13,11). Dazu wollen wir zusehen, dass wir alle Bibelstunden besuchen, die Predigten hören und aufnehmen. Erkenntnis wächst auch durch Gebet, ein sehr vernachlässigtes Mittel, das uns Gott zu diesem Zweck in die Hand gegeben hat. Wir sollten für uns und für die anderen immer wieder beten, »damit … Gott …. (uns) gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst, damit ihr … wisst …« (Eph 1,17.18).
6 in der Erkenntnis aber die Selbstbeherrschung, ► in der Selbstbeherrschung aber das ► Ausharren, im Ausharren aber die ► Gottseligkeit,
»in der Erkenntnis aber die Selbstbeherrschung«:
Alle rechte Erkenntnis bewirkt Selbstbeherrschung.
Damit ist diese ein Prüfstein: Fördert die Erkenntnis, die wir uns aneignen, nicht die Selbstbeherrschung, dann ist es nicht die rechte, die geistliche Erkenntnis, von der Petrus spricht.
In Gal 5,22.23 wird die Selbstbeherrschung als die letzte Eigenschaft der neunfachen Frucht des Geistes genannt.
Das heisst, dass alles Wirken des Heiligen Geistes ebendiese Selbstbeherrschung hervorbringt.
Der griechische Begriff lautet εγκρατεια, enkrateia. Das Verb krateō bedeutet »greifen«, »halten«, »festhalten« (Offb 2,1.25; Kol 2,19); en-krateō bedeutet demgemäss »in der Hand festhalten«. Selbstbeherrschung, enkrateia, könnte man demnach auch umschreiben als »sich im Griff haben«.
Wahre Erkenntnis bewirkt genau das – denn wir erkennen
1. den Willen Gottes;
2. unsere Berufung;
3. unsere Bestimmung;
4. unsere Hoffnung.
Je klarer wir dies alles erkennen, desto zielgerichteter werden wir leben. Wir werden uns nicht mehr ziellos unsere Tage vertrödeln und uns von jeder Strömung des Zeitgeistes und von jedem Geschmack der Mode treiben lassen. Ein Wissen, das unseren Weg nicht ausrichtet und unser Sinnen und Handeln nicht bestimmt, ist nutzlos. Statt »Selbstbeherrschung« können wir auch »Selbstzucht« oder »Disziplin« sagen. Das Leben des Glaubens ist ein Leben der Zucht. Der Christ ist diszipliniert im Schlafen, im Aufstehen, im Essen und Trinken (1Kor 10,31; Gal 5,23), im Reden (Spr 10,19; 14,23), im Bibellesen (Ps 1; Jos 1,8), im Gebet (Eph 6,18), im Gemeindebesuch.
»in der Selbstbeherrschung das Ausharren«:
Wenn Gottes Geist in uns Selbstbeherrschung gewirkt hat, werden wir lernen, auszuharren im Guten (Kol 1,11), d. h. den Kurs auch unter Widerwärtigkeiten, Versuchungen und Anfeindungen zu halten: »Zeigst du dich schlaff am Tage der Drangsal, so ist deine Kraft gering« (Spr 24,10).
Wenn jemand im Guten nicht ausharrt, kann man nicht von Selbstbeherrschung sprechen. Wenn jemand an einem Tag drei Stunden die Bibel liest, danach drei Wochen lang die Bibel nicht mehr aufschlägt, ist er nicht zuchtvoll. Einen Fresser und Säufer, der ab und zu einen Tag einschaltet, an dem er massvoll isst und trinkt, kann man nicht selbstbeherrscht nennen. Wahre Selbstbeherrschung beweist sich im Ausharren. Der christliche Charakter – oder eben: die in uns gelegte göttliche Natur – wächst nicht durch einen Schnellkurs, nicht in zwei Monaten, auch nicht in zwei Jahren; schon eher in zwei Jahrzehnten. Harren wir nicht aus im Guten, können wir nicht von uns behaupten, wir seien Täter des Guten. Zeitweilige Gottseligkeit ist beständige Heuchelei.«
»im Ausharren die Gottseligkeit«:
Das Ausharren wiederum muss von Gottseligkeit geprägt sein. Es gibt Leute, die sind sehr beherrscht und ausdauernd, aber dabei gottlos. Manche Geschäftsleute, Politiker, Sportler oder Künstler halten sich jahrelang an eine selbst auferlegte eiserne Disziplin, weil sie den Ehrgeiz haben, Marktführer, Staatsoberhaupt, Olympiasieger oder Nobelpreisträger zu werden. Aber sie lieben dabei sich selbst mehr als alles andere. Darum muss all unser Eifer und all unser Bemühen um Wachstum auf Gott ausgerichtet sein. Wir müssen von Gott abhängig bleiben, ihn suchen, zu ihm beten, seinen Willen erfragen, nach seiner Ehre trachten, ihn lieben über alles, oder eben um »Gottseligkeit« ringen (1Tim 4,7).
7 in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die Liebe.
»in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe«: Für »Bruderliebe« steht hier ϕιλαδελϕια, philadelphia. Es gibt keine Gottseligkeit ohne Bruderliebe. Es gibt auch im Volk Gottes Leute, die mit viel Fleiss die Bibel lesen, in der Gemeinde immer dabei sind, Kurse besuchen, Theologie studieren und promovieren, weil sie im Reich Gottes jemand sein wollen. Ja, es gibt auch in der Gemeinde Jesu Christi Erfolgsmenschen. Sie lieben sich selbst, sie lieben nicht wirklich die Brüder. Die Gemeinschaft der Heiligen ist ihnen nur das Feld, auf dem sie sich verwirklichen, und ihr Erfolg ist der Spiegel, in dem sie sich selbst bewundern können, kurz: ein Mittel zu ihren eigenen Zwecken. Die Bruderliebe ist also ein Prüfstein, ob der Fleiß echt, d. h. ob er von der göttlichen Berufung motiviert, vom Geist Gottes getrieben und von Gottseligkeit gespeist sei.
»in der Bruderliebe aber die Liebe«:
Für »Liebe« steht hier αγαπη, agapē, d. h. die Liebe zu Gott und die Liebe zu allen Menschen. Die Liebe zu den Brüdern ist aussondernde und darum tiefer reichende und weiter gehende Liebe als die Liebe zu allen Menschen; und wir sollen auch danach trachten, zuerst den Hausgenossen des Glaubens Gutes zu tun (Gal 6,10). Dabei dürfen wir uns aber nicht auf diesen inneren Kreis der Liebe beschränken. Wir schulden den Menschen das Evangelium (Röm 1,14), schulden ihnen die Botschaft von der rettenden Liebe Gottes. Die Liebe ist Frucht des Heils, mit dem dieser Abschnitt anfängt (V. 3-4). Sie ist der kräftigste Beweis dafür, dass wir wahrhaftig Teilhaber der göttlichen Natur sind. Gott ist Liebe (1Jo 4,16). Er hat uns mit ewiger Liebe geliebt (Jer 31,3); er hat uns in seiner Liebe und wegen seiner Liebe erwählt (5Mo 7,7.8). Er hat eine ganze Welt von Sündern geliebt und seinen Sohn für sie dahingegeben (Joh 3,16); er hat uns geliebt, als wir noch Sünder waren (Röm 5,8). Er hat seine Liebe aus¬gegossen in unsere Herzen (Röm 5,5); und das ist eine Liebe, die uns drängt (2Kor 5,14), Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie uns selbst (Mt 22,37-39).
Wie Petrus die Tugendkette mit Liebe beschliesst, so schreibt Paulus dem Timotheus, das Endziel allen Lehrens, Ermahnens und Gebietens sei »Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben« (1Tim 1,5).
Zusammenfassung und Umschreibung der Tugendkette von V. 5-7:
V. 5 Nachdem du zum Glauben gekommen bist, nimm dir vor, den Glauben so auszuleben, dass die göttliche Natur sich entfalten kann, d. h. dass die Tugend wächst. Diese äussert sich in den nachstehend genannten Dingen:
V. 6 Dein Entschluss zu wachsen und dein Streben muss von Erkenntnis geleitet sein; das bedeutet: Eifer und Hingabe allein genügen nicht; Eifer ohne Erkenntnis (Röm 10,2) ist sogar schädlich. Was du erkennst, setze mit Disziplin ins Werk. Bleibe dabei, harre aus, bis es zu einem festen Lebensstil geworden ist. Tue dabei alles aus Liebe zu Gott, aus Furcht vor Gott, in Abhängigkeit von Gott, das heißt: Befleißige dich um Gottseligkeit.
V. 7 Denke bei all deinem Streben an die Geschwister. Du sollst ja im Glauben und im neuen Leben wachsen, um den Geschwistern zu dienen. Anders gesagt: Tue alles aus Bruderliebe. Und denke immer mehr an den, der dir alles geschenkt hat, an Gott. Dann wird deine Liebe zu Gott wachsen; und liebst du Gott, denkst du bei allem Eifer in der Nachfolge immer mehr auch an die Menschen, unter denen du lebst. Du sollst für sie nützlich, eine Hilfe, ein Segen sein.
Die Tugendkette ist ein Syndrom; ist wahrer Glaube da, wird sich das Äussern im Fleiss; ist der Fleiss durch den Glauben gewirkt, wird es ein Fleiß im Jagen nach der Heiligung sein; jagt jemand wirklich nach der Heiligung, wird er nach der Erkenntnis Gottes und seines Willens trachten und in dieser Erkenntnis wachsen; erkennt er Gott wirklich, wird er zuchtvoll leben; ist er wirklich zuchtvoll, harrt er darin aus; harrt er wirklich aus im Guten, wird er von Gottseligkeit, d. h. Gottesfurcht regiert sein; fürchtet er Gott wirklich, wird er die Brüder lieben; liebt er die Brüder, dann liebt er Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst. Alle von Petrus genannten Eigenschaften hängen miteinander zusammen.
Fehlt eine von ihnen, fehlt es am ganzen Wachstum in der Heiligung. Es kann niemand wirklich wachsen im Glauben, der keine Erkenntnis hat; es kann keiner wahre Erkenntnis besitzen, der nicht die Brüder liebt usw. So können wir die Tugendkette als einen Spiegel verwenden, der uns aufzeigt, ob wir überhaupt wachsen oder nicht. Fehlt die Selbstbeherrschung, schrumpfen wir, auch wenn wir wähnen, dass die übrigen Eigenschaften wachsen.
Aber das ist ein Wahn; sie können nicht wachsen, wenn eine der Eigenschaften fehlt.
»Jede dieser Stufen erzeugt und erleichtert die nachfolgende; die nachfolgende … vollendet die vorangehende«
»Den Sinn dieser Stufenleiter wird man noch besser erkennen, wenn man sie auch in umgekehrter Ordnung betrachtet und sich überzeugt, wie jede folgende Stufe die frühere zu ihrer notwendigen Voraussetzung hat«
8 Denn wenn diese Dinge bei euch vorhanden sind und zunehmen, so stellen sie euch nicht träge noch fruchtleer hin bezüglich der Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus.
»Denn …«: Hier nennt Petrus den ersten von drei Gründen, warum wir alles tun sollen, um im Glauben und in der Gottseligkeit zu wachsen: Wir werden dann nicht ohne Frucht bleiben. Umgekehrt zeigt dieser Vers, dass es tatsächlich möglich ist, ohne Frucht zu bleiben, obwohl man den Herrn Jesus kennt. Aber es sollte, und vor allem, es muss nicht so sein.
»… wenn diese Dinge bei euch vorhanden sind und zunehmen«: Wenn die Gnade und ihre Auswirkungen in unserem Leben wirklich vorhanden sind, werden sie zunehmen. Wer da hat, dem wird gegeben werden (Mt 13,12).
Wenn wir nicht vorangehen, stehen wir nicht etwa still, sondern gehen zurück. Darum ist es bei einem gesunden Christen normal, dass er wächst im Glauben. Wächst einer nicht, müssen wir uns fragen, ob er überhaupt ein Christ sei. Vielleicht ist er gar nicht von Neuem geboren. Falls er es ist und trotzdem nicht wächst, ist er krank. Wenn ein Kind zur Welt gekommen ist, beginnt es zu wachsen; das ist normal. Wächst es nicht, machen sich die Eltern grosse Sorgen. Haben wir also Leben, werden wir wachsen, und dann werden wir »nicht träge«, αργος, argos, d. h. nutzlos sein, müssig herumstehen wie Arbeiter, die keine Arbeit haben (Mt 20.3.6),
oder nutzlos sein wie Worte, die nichts ausrichten (Mt 12,36), oder nutzlos wie Menschen, die statt zu arbeiten schwatzen und damit Schaden anrichten (1Tim 5,13; Tit 1,12). Wachsen wir hingegen, sind wir bei aller Erkenntnis des Herrn, die wir empfangen haben, nützlich, wie Arbeiter, die ihre Arbeit tun.
»noch fruchtleer«: Das ist uns zur Ermutigung gesagt. Ich kann mich wirklich darauf verlassen, dass ich fruchtbar sein werde, wenn ich wirklich dem Herrn gehöre. Wenn ich ihm täglich vertraue, täglich auf sein Wort höre und ich mich von ihm führen lasse, dann wird sich mein Leben mit guten Früchten füllen (Phil 1,11).
Damit dürfen wir rechnen; denn das Evangelium, dem wir geglaubt haben, »ist Gottes Kraft zum Heil« (Röm 1,16), und darum bringt es Frucht und wächst (Kol 1,6).
9 Denn bei wem diese Dinge nicht vorhanden sind, der ist blind, kurzsichtig und hat die Reinigung von seinen früheren Sünden vergessen.
»Denn …«: In diesem Vers wird das in V. 8 Gesagte begründet; wer Frucht bringt, lebt wahrhaft im Glauben, oder – mit anderen Worten des Petrus gesagt – steht in der »wahren Gnade Gottes« (1Petr 5,12). Wer hingegen keine Frucht bringt, muss folglich jemand sein, der nicht in der wahren Gnade Gottes steht. Das ist aber sehr ernst.
»… bei wem diese Dinge nicht vorhanden sind, der ist blind«: Petrus sagt nicht, dass wir, wenn wir nicht wachsen in der Erkenntnis, immer nur gleich viel Licht haben. Nein, er sagt, dass wir, wenn das Licht nicht stets heller leuchtet (Spr 4,18), immer weniger Licht haben und am Ende gar nichts mehr sehen. Wir werden »blind«. Ist jemand »blind«, muss man sich fragen, ob er überhaupt errettet sei und Leben aus Gott habe. Oder er war einmal »sehend« und ist aus verschiedenen Gründen »blind« geworden. Er ist wie ein Toter, obwohl er neues Leben hat. Es gibt Christen, die schlafen unter den Toten, obwohl sie gar nicht dorthin gehören (Eph 5,14).
Diese müssen nicht auferweckt werden wie die Sünder, die in ihren Sünden tot sind (Eph 2,1.5), sondern sie müssen aufwachen und sich zu den Lebenden gesellen, wo sie eben hingehören.
Petrus erläutert die Blindheit von Christen, indem er sagt, sie seien »kurzsichtig« geworden. Das Wort μυωπαζω, myōpazō, ist im NT nur hier belegt.<von muw, myō = schliessen, und oyijß, opsis = Sehfähigkeit; Gesicht; Auge.> Kurzsichtige sehen nur, was in nächster Nähe ist. So sieht der kurzsichtige Christ nur, was ihn gerade hier und jetzt interessiert. Damit ist er eigentlich blind: Er ist blind geworden für das Ziel der Errettung; er hat nur noch Augen für den momentanen Nutzen, für seine täglichen Wünsche und für mittelfristige Ziele. Das Fernziel sieht er nicht mehr, und darum zieht ihn das Ende der Reise nicht mehr. Christen, die blind geworden sind, rät der Herr, Augensalbe zu kaufen (Offb 3,18).
Wenn jemand »die Reinigung von seinen früheren Sünden vergessen«<Zu »vergessen« siehe auch Ps 103,2 und Jak 1,24.> hat, dann ist er nicht nur blind geworden für das Wichtigste, das auf ihn zukommt, sondern auch für das Wichtigste in seiner Vergangenheit: für den Tag, an dem die Reinigung all seiner Sünden gewirkt wurde – und damit auch für den Tag, an dem er das Glück der Vergebung erfuhr. Er wusste damals, was Sünde ist, und nahm dankbar die Reinigung von seinen Sünden durch das Blut Jesu Christi entgegen. Aber jetzt hat er vergessen, wie schlimm Sünde ist, hat vergessen, wie glücklich er war, als sie ihm vergeben wurde. Damals liebte er den Herrn, der alles gegeben hatte, um ihn von seinen Sünden zu reinigen; nun hat er die erste Liebe verlassen (Offb 2,4). Er muss nicht noch einmal von Neuem geboren werden, aber er muss umkehern (Offb 2,5).
10 Darum, Brüder, befleissigt euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen; denn wenn ihr diese Dinge tut, werdet ihr niemals straucheln.
Hier nennt Petrus nach V. 8 den zweiten Grund, warum wir allen Fleiss aufwenden und im Glauben die Tugend darreichen sollen: Wir werden dann nie straucheln.
»Darum, Brüder«, aus den beiden in V. 8 und 9 genannten Gründen: Es soll sich erweisen an eurer Fruchtbarkeit, dass ihr in der wahren Gnade Gottes steht; ihr sollt damit beweisen, dass ihr wahrhaft Gläubige seid.
»befleissigt euch umso mehr«: Petrus greift das Wort auf, das am Anfang der Tugendkette stand. Alles steht und fällt mit dem Fleiss. Fehlt dieser, kann es nur bergab gehen. Das aber ist gefährlich, vielleicht katastrophal. Darum müssen wir uns befleissigen, unsere »Berufung und Erwählung festzumachen«: Gott hat uns, die sich bekehrt habenden »berufen … durch Herrlichkeit und Tugend« (V. 3);
diese Berufung sollen wir fest machen.
Warum nennt Petrus zuerst die Berufung, dann die Erwählung, wo doch in der Ordo Salutis, der Heilsordnung, die Erwählung zuerst steht?
Er geht den Weg vom erlösten Menschen aus: Wir erfahren und erfassen als Erstes die Berufung nach dem wir uns bekehrt haben und wer sich bekehrt hat wird berufen..
Wie aber soll man die Erwählung fest machen?
Sie ist ja befestigt in Gottes Ratschlüssen, wie Petrus den Empfängern dieses Briefes schon gesagt hat (1Petr 1,2).<»eklogh, eklogē (Erwählung) ist nicht von der durch das eigene Tun bedingten Würdigkeit und Auszeichnung, nicht von dem in der Zeit geschehenden Eingehen in die Gemeinschaft mit Gott, sondern wie gewöhnlich von dem ewigen Ratschluss Gottes zu verstehen (vgl. 1Petr 1,1; 2,4.6.9; Apg 9,15; Röm 9,11; 11,5.7.28; 1Thes 1,4)« (Lange).> Kein Mensch kann sich erwählt machen, keiner hat Macht über Gottes Gnadenwahl. Aber wir können die Erwählung für uns selbst und im Urteil anderer fest machen. D. h. wir können durch einen normalen<im Wortsinn: der Norm, nämlich der göttlichen, entsprechend.> Wandel dafür sorgen, dass wir persönlich die Gewissheit haben, zu den Erwählten zu gehören; und wir können so auch dafür sorgen, dass andere an uns sehen, dass wir erwählt sein müssen. Paulus sah das an den Thessalonichern (1Thes 1,4). Wenn der Christ in der Heiligung wächst, indem er »durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet« (Röm 8,13), gibt ihm Gottes Geist die Gewissheit (Röm 8,16), dass er erwählt und berufen ist; und dann sind auch die anderen davon überzeugt, wie es Paulus von den Thessalonichern war, dass Gott sie »von Anfang erwählt hat zur Errettung« (2Thes 2,13). Analog dazu sagt Petrus in 3,17, dass der Christ aus seiner »eigenen Festigkeit« (Hervorhebung hinzugefügt) fällt, wenn er nicht in der Heiligung lebt. Er fällt nicht aus der Festigkeit, die in Gott begründet ist, aber er fällt aus der persönlichen Festigkeit im Wandel und beginnt, am Heil zu zweifeln. Und auch die Mitgläubigen zweifeln an seinem Glaubensstand.
Ähnlich muss Jak 2,21 verstanden werden: Abraham wurde durch Werke gerechtfertigt, obwohl er längst durch seinen Glauben gerechtfertigt worden war (1Mo 15,6). Der Gehorsam Abrahams gab ihm die Gewissheit, dass er wirklich gerecht gemacht worden war. Als Abraham seinen Sohn Isaak auf den Altar legte, sagte Gott zu ihm: »Nun weiß ich …« (1Mo 22,12). Diese Stimme geschah um Abrahams willen; Abraham sollte wissen, dass Gott es wusste; jetzt hatte Abraham in seinem Herzen die Stimme Gottes vernommen, die ihm sagte, dass Gott in ihm tatsächlich jene Gerechtigkeit sah, die ihm der Glaube gegeben hatte. Auf uns angewendet: Gottes Geist »bezeugt mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind« (Röm 8,16).
»denn …«: Petrus nennt einen Grund, warum die Christen ihre Erwählung fest machen sollen: »wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln«: Das ist eine ganz wunderbare Zusage. Straucheln ist schmerzhaft; Straucheln kann sehr schlimme Folgen haben. Aber Straucheln muss nicht sein.
Für »straucheln« steht hier πταιω, ptaiō, wie in Jak 3,2. Dort heisst es, dass wir alle oft straucheln. Petrus meint aber etwas Ernsteres. Wenn wir das eben Gesagte tun, also unsere Erwählung fest machen, werden wir nicht straucheln, wie etwa ein König David strauchelte, der auch nach seiner Wiederherstellung sein ganzes Leben die Folgen seines Strauchelns tragen musste. Wir werden auch nicht straucheln wie die Scheingläubigen, die sich an Schwierigkeiten stossen und abfallen (Mt 13,21; Lk 8,13), oder straucheln wie die Juden, die an Jesus von Nazareth Anstoss nahmen und zu Fall kamen (Röm 11,11). Vielmehr werden wir mit Gewissheit beten können: »Befestige meine Schritte in deinem Wort, und lass kein Unrecht mich beherrschen!« (Ps 119,133), und wir werden erfahren, was David in Ps 37,23 sagt: »Von dem HERRN werden befestigt des Mannes Schritte, und an seinem Weg hat er Wohlgefallen.«
Wenn David straucheln konnte, kann auch der wahre Christ straucheln, und wie jener, so strauchelt auch der Christ, wenn er sich vorher hat gehen lassen.<Man kann auch straucheln wie ein Petrus (Mt 26,69-75), der nicht aus Müssiggang zu Fall kam, sondern wegen eines verborgenen Mangels: Er hielt zu viel von sich selbst. So mag der Gerechte wohl siebenmal fallen, aber er steht wieder auf, während der Gottlose niederstürzt in seinem Unglück (Spr 24,16).> Ein Erlöster kann in böse Sünden verstrickt werden, wenn er sich gehen lässt, und kann großen Schaden erleiden. Wer will so etwas schon? Darum wollen wir allen Fleiss aufwenden und in dieser Sache auf Petrus hören und Gottes Gegenwart suchen, unseren Willen unter seinen Willen beugen, ihn darum bitten, dass wir täglich im Glauben und Gehorsam wandeln können. Und dann wollen wir auf seine Hand harren, bis er uns in der Überzeugung fest macht, dass wir von ihm erwählt und berufen sind. Diese Gewissheit wird uns mehr helfen als irgendetwas anderes, unseren Weg beständig zu machen.
11 Denn so wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.
»Denn …«: Petrus nennt hier den dritten Grund, warum wir nichts Besseres tun können, als mit Fleiss der Heiligung nachzujagen. Wir werden nicht nur fruchtbar sein (V. 8) und vor Straucheln bewahrt werden (V. 10), sondern wir werden auch einen wunderbaren Ausgang aus dieser Welt haben, und entsprechend wird uns »reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich«.
Das Verb »darreichen« ist bereits in V. 5 vorgekommen. Wenn wir am Anfang unseres Weges im Glauben Tugend darreichen, wird uns am Ende des Weges ein herrlicher Eingang in das ewige Reich dargereicht werden.
Ist dieser Eingang zukünftig oder gegenwärtig, oder ist er beides? Er muss beides sein. Wir sind jetzt schon eingegangen ins Reich durch Umkehr (Mt 7,13) und durch neue Geburt (Joh 3,3.5). Gott hat »uns er¬-rettet … aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe« (Kol 1,13).
Die Umkehr ist die enge Pforte (Mt 7,13),
und unser Herr ist die Tür, durch die wir in das Reich eingegangen sind; und nachdem wir eingegangen sind, können wir »ein- und aus¬gehen und Weide finden« (Joh 10,9).
Wir haben als Gerechtfertigte ständig »Zugang … zu dieser Gnade, in der wir stehen« (Röm 5,2) und allezeit »Zugang durch einen Geist zu dem Vater« (Eph 2,18).
Das Reich ist jetzt schon mitten unter uns (Lk 17,21), und wir haben durch Christus Anrecht auf alle geistlichen Segnungen des Reiches.
Wenn wir den Weg so gehen, wie Petrus uns lehrt, haben wir jetzt schon reichlichen Eingang in dieses Reich und können seine Gaben und Vorrechte immer voller geniessen. Dieses Reich wird eines Tages erscheinen, und wir werden eines Tages vom Glauben zum Schauen übergehen. Dann werden wir in einer neuen, bisher nie gekannten Weise in das ewige Reich unseres Herrn ein¬gehen. Und auch der endgültige Eingang wird mehr oder weniger »reichlich« sein, je nachdem, wie wir hier geglaubt haben, gewandelt sind und gedient haben. Einige werden bei seinem Kommen beschämt werden (1Jo 2,28).
Und es wird grosse Unterschiede geben im Genuss und in der Teilhabe an der Regierung des Reiches, auch wenn die Zugehörigkeit zum Reich für alle Erretteten die gleiche ist. Wir bleiben alle Kinder und Erben Gottes und Miterben Christi, alle sind wir Geliebte des Vaters und gehören zur Braut des Lammes.
Aber einige werden heller leuchten als andere (1Kor 15,41), einige werden Verlust erleiden, während andere Lohn bekommen (1Kor 3,14.15), und einige bekommen mehr Lohn als andere (Lk 19,16-19).<Luther bezieht den Eingang ins Reich auf den Tag, da wir sterben und zum Herrn eingehen: »Jene aber, wo sie anders hineinkommen (wiewohl man auch an dem Schwachen nicht verzweifeln soll), werden nicht also mit Freuden dahinfahren; die Türe wird ihnen nicht so weit offen stehen, sondern wird ihnen eng und sauer werden, dass sie zappeln und lieber ihr Lebtage schwach sein wollten, denn einmal sterben.«>
Tugend«, aretē, hat einen weiten Bedeutungsumfang.
<Das Wörterbuch von Benseler-Kägi bietet für aretē folgende Reihe von Begriffen:
Tüchtigkeit, Tauglichkeit,
Trefflichkeit, Güte, Vollkommenheit, Herrlichkeit, Stärke, Gewandtheit, Schönheit, Ehre, Glück,
Gedeihen, Ergiebigkeit, sittliche Güte, Seelengröße, Tugend, Rechtlichkeit, Edelmut, Dienstfertigkeit, Verdienst, Unschuld,
Geschicklichkeit, Energie des Willens, edelmütige Gesinnung, oder auch Tapferkeit, und so besonders im Plural die Heldentaten,
auch Tugendruhm, Heldenruhm.>
Benseler Griechisch-Deutsches Wörterbuch