PSALM 39
In Psalm 39 finden wir den Frommen noch unter den Schlägen Gottes; aber hier ist es mehr das Gefühl der Nichtigkeit alles Fleisches unter der Hand Gottes, als das des Missfallens, der Scham und der Furcht. Er beugt sich lieber vor Gott, als dass er seinem Geist erlaubt, sich zu empören und mit seiner Zunge töricht zu reden. Er hätte den Gesetzlosen antworten können, hätte gereizt werden können, Böses zu tun, aber sich zu bezwingen und zu schweigen geziemte sich für ihn, als die Hand Gottes auf ihm ruhte. Das ist immer so. Er schweigt sogar vom Guten, und sein Schmerz wird in ihm erregt; in ergreifenden Worten teilt er uns das mit. Schließlich strömt sein Herz über; aber nur um Gott die Nichtigkeit des Menschen vorzustellen, zu deren Erkenntnis sein Herz gekommen ist. Er wünscht das Maß seiner Tage zu wissen. Wie gering ist er! Er sieht, dass alles Eitelkeit ist, aber er sieht seine eigene Übertretung und Sünde in der Gegenwart des Gottes, dessen Züchtigung gleich der Motte die Schönheit des Mannes verzehrt. Von Jehova erwartet er die Rettung; Seine Schläge sind es, die Ihn bekümmern. Auf Ihn vertraut er, dass Er ihn nicht zum Hohne des Toren machen wird. Es ist von großer Schönheit, wie der Psalmist hier die Eitelkeit des Menschen und sein eigenes Nichts auf gleich niedriger Stufe erblickt und dennoch auf Gott vertraut, dass Er ihn von dem Hochmut des Menschen befreien werde.
Hiermit endet die moralische Geschichte des Überrestes (d. h. dessen, was in ihrem Innern vorgeht), soweit der Überrest auf Bundesboden als in Verbindung mit Jehova stehend betrachtet wird, indem er den Namen Jehovas anruft, weil er mit Ihm verbunden ist. Daher finden wir auch in den Psalmen des ersten Buches so vieles von Christo Selbst.
Fußnoten
- 1Der einzig mögliche Sinn, den sie in bezug auf ihn haben könnten, ist die Befreiung Seiner Seele (als Tatsache in jenem Augenblick) von dem Fluche, den Er für uns trug, wobei Er Gott hinsichtlich unserer Sünden und als für uns zur Sünde gemacht vollkommen verherrlicht hatte. Doch der Herr gebraucht diese Worte nicht. Obwohl Er tatsächlich sterben musste, waren doch die Bitterkeit und der Stachel des Sterbens vorüber.
- 2Welcher Räuber, der hingerichtet wird, würde einen anderen, von demselben Schicksal betroffenen Räuber schmähen? Aber der Räuber am Kreuze hat dies Christo gegenüber getan.
- 3Obwohl das dürre Holz im vollen Sinne des Wortes das leblose Israel ist, werden doch die Gläubigen des Überrestes, die so lange Jesum, den Messias, verworfen haben, da sie mit der Nation vermengt sind, in ihrem Herzen und Ihrem Geiste die Trübsale mit durchmachen, die über die Nation kommen, mit Ausnahme des Endgerichts von Seiten Gottes. Das hat Christus für sie getragen; Er starb für die Nation. Aber mit Ausnahme dieses Gerichts gehen sie durch alles, und fühlen in bitterem Schmerz und großer Angst in gewisser Beziehung vorher mehr, als wenn das Gericht kommt, weil sie das Gefühl der Sünde haben, die es herbeiführt. Daher konnte Christus, der die Ursache des Gerichts kannte und das Gericht voraussah, durch das Er gegangen ist, völlig in ihre Lage eintreten. Er ging durch die Bedrängnis, ohne irgendwelche Befreiung zu sehen, weil die Stunde gekommen war, in der Er unter die Gesetzlosen gerechnet werden sollte. Obwohl Er in Liebe in ihre Lage eintrat, stand doch die Gerechtigkeit, die Israel bedrohte, vor Ihm.
PSALM 39
In ihrer Verzweiflung fassen die Juden des Überrestes den Entschluss, nicht mit ihrer Zunge zu sündigen. Sie erhoffen sich dadurch, göttliche Gunst zu erlangen und ihre Befreiung zu beschleunigen. Sie müssen jedoch feststellen, dass sie diese selbst auferlegte Bedingung nicht lange erfüllen können und sie tun genau das, was sie sich vornahmen nicht zu tun (Ps 39,2–4). Auf diese Weise wird ihnen ihre eigene Hilflosigkeit viel stärker bewusst. So schauen sie auf den Herrn, dass Er sie lehren möge, ihr eigenes Herz kennenzulernen. Schließlich lernen sie die demütigende Lektion, dass nichts Gutes im Fleisch wohnt und dass der Mensch in seinem besten Zustand ganz und gar nichtig ist (Ps 39,5–7). Enttäuscht über ihr eigenes Versagen und ihre eigenen Schwachheiten werfen sich die Gläubigen des Überrestes auf den Herrn, um von ihren Übertretungen befreit zu werden.3 Sie spüren, unter dem Einfluss göttlichen Zornes zu stehen. Daher schreien sie zu dem Herrn, dass Er sie vor diesen Zuchtmaßnahmen verschonen möge (Ps 39,8–14).