Ps 139
Gottes Allwissenheit, seine Allgegenwart und Allmacht bilden den Gegenstand des Nachsinnens Davids in diesem wunderschönen Psalm. David bat Gott hier, ihn durch und durch zu prüfen, um seine Schuldlosigkeit zu bestätigen. Der Psalm besteht aus vier Strophen zu je sechs Versen. Die Botschaft wird von einem Thema zum nächsten fortentwickelt. Zuerst sinnt David über Gottes Wissen nach, denn alle seine Lebensbereiche wurden von Gott ergründet und überwacht. Er erkannte, daß es unmöglich war, dieser Allwissenheit Gottes zu entkommen, wie weit oder wie schnell er sich auch immer entfernen mochte, denn Gott ist überall gegenwärtig. David legte dar, daß Gott über ihn die Macht hatte, weil er ihn in seiner Macht im Verborgenen geschaffen hatte. Er hatte sein Leben mit großer Sorgfalt gestaltet. Aufgrund dieser Gedanken versicherte David seine Treue gegen Gott und bat darum, daß Gott ihn doch prüfen möge.
A. Der Herr ist allwissend
( 139,1-6 )
Ps 139,1
Der in den Versen 1-6 vorherrschende Gedanke wird im ersten Vers angekündigt: Der Herr kannte David durch und durch. Es war für David, als ob Gott jede Einzelheit aus Davids Leben durchleuchtet hätte und ihn deshalb so genau kannte.
Ps 139,2-4
David zählte einige Beispiele dafür auf, wie genau Gott David kannte. Der Herr (die Anrede du ist im Hebr. betont; vgl. V. 13 ) kannte jede Bewegung, die David machte; die gegenteiligen Handlungen des Sitzens und Aufstehens stehen für all sein Tun (dies ist ein ganz bestimmtes Stilmittel im Hebr; vgl. V. 3.8 ). Gott kannte nicht nur das Tun Davids, er kannte auch seine Beweggründe ( Gedanken ; vgl. V. 17 ).
Die alltäglichen Handlungen des Psalmisten waren dem Herrn bis in die Einzelheiten hinein bekannt. Das Gehen am Morgen und das Niederlegen in der Nacht stehen für das ganze Tun während des Tages (vgl. V. 2.8 ).
Das Beispiel, das jedoch in besonderer Weise die Allwissenheit Gottes zum Ausdruck bringt, steht in Vers 4 . Bevor der Psalmist noch ein Wort auf seiner Zunge formen konnte, kannte der Herr das, was er sagen wollte. (Der hebr. Begriff für "Wort" lautet millCh , und der ähnlich klingende Begriff für vollkommen lautet kVllAh .)
Ps 139,5-6
Zuerst war die Reaktion Davids auf dieses überwältigende Wissen Verwirrung. Wie so viele Menschen, die auf die Allwissenheit Gottes reagieren, fühlte er sich beengt davon, daß Gott um ihn war und seine Hand über ihn hielt.
Darüber hinaus hatte David keine Macht über diese Art von Wissen - es war ihm zu wunderbar . Das Wort "wunderbar" ist durch seine Stellung zu Beginn des Satzes stark betont. Zur Bedeutung von "wunderbar" als "ungewöhnlich oder außerordentlich" vgl. den Kommentar zu Ps 9,2 .Mit anderen Worten: Die Allwissenheit Gottes ist zu hoch , als daß der Mensch sie begreifen könnte (vgl. auch den Kommentar zu Ps 139,14 ).
B. Die Allgegenwart des Herrn
( 139,7-12 )
Ps 139,7
Der Gedanke an dieses unermeßliche Wissen (V. 1-6 ) rief vielleicht Davids Wunsch nach Flucht hervor, wie die Verse 7-12 berichten. Vers 7 hebt diese Tatsache mit zwei rhetorischen Fragen hervor: Es gibt keinen Ort, an den David vor der Gegenwart des Herrn flüchten konnte (vgl. Jer 23,24 ).
Ps 139,8-10
Diese Verse nennen hypothetisch verschiedene Orte, wohin David vielleicht entfliehen könnte. Er versicherte zunächst, daß der Herr im Himmel oben und unten im Scheol gegenwärtig ist. Die Nennung dieser gegensätzlichen Orte besagt, daß der Herr auch in allen Bereichen dazwischen (vgl. V. 2-3 ) gegenwärtig ist.
Wenn David auch mit Lichtgeschwindigkeit ( mit den Flügeln der Morgenröte ) von Ost nach West fliegen könnte ( bis an die äußersten Enden des Meeres ), könnte er dem Herrn doch nicht entkommen.
Dann bekam die Gegenwart Gottes für den Psalmisten eine neue Bedeutung, als wenn Licht heraufdämmerte. Er empfand nun, daß die Hand des Herrn ihn leitete und tröstete.
Ps 139,11-12
David sprach noch weiter vom Licht. Dunkelheit konnte David bedecken, aber er konnte sich nicht vor Gott verbergen. Ob Dunkelheit oder Helligkeit herrscht, macht für Gott keinen Unterschied, denn er ist allwissend und allgegenwärtig.
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C. Die Allmacht des Herrn
( 139,13-18 )
In den Versen 13-18 sann David weiter darüber nach, daß Finsternis keinen Menschen vor dem Herrn verbergen kann (V. 11-12 ): Gott wußte alles, was ihn betraf, als er ihn im Schoße seiner Mutter schuf. Vers 13 beginnt mit einem "denn". Das weist darauf hin, daß die folgende Strophe (V. 13-18 ) eine Erklärung für die vorhergehenden beiden Strophen (V. 1-6.7-12 ) liefert: Weil Gott einen Menschen erschaffen kann, kennt er ihn durch und durch. Er begleitet ihn auf allen seinen Wegen.
Ps 139,13-14
Hier wird der Hauptgedanke von Vers 13-18 genannt: Der Herr (das du wird im Hebr. wiederum betont; vgl. V. 2 ) erschuf ihn im Schoß seiner Mutter. Mit bildhaften Ausdrücken beschrieb der Psalmist in diesen Versen Gottes Leitung des natürlichen Vorganges der Entstehung und Geburt eines Menschen (vgl. Hi 10,11 ).
Über dem Gedanken, wie wunderbar er gemacht war, brach der Psalmist in Lobpreis aus. Sogar die unzureichende Kenntnis Davids über die Wunder des menschlichen Körpers führte ihn zur Furcht und zum Staunen. Die Worte ausgezeichnet und spiegeln das Wissen von Gottes Allmacht wider ( Ps 139,6 ).
Ps 139,15-16
David hob hier verschiedene Gesichtspunkte der Allmacht Gottes über ihn als Person hervor. Im Mutterschoß wurde er gewoben (wörtl.: "gewirkt, gestickt"). Als er im Mutterleib gebildet wurde, war er für das menschliche Auge so weit entfernt wie die Tiefen der Erde (vgl. den Kommentar zu Hi 1,21 ). Aber Gott sah jede Einzelheit. Davids Gebein war sein Skelett, und seine Urform war sein Embryo. Gott hatte sogar schon alle Tage des Psalmisten aufgeschrieben, bevor er überhaupt geboren wurde. Das könnte darauf hindeuten, daß Gott den Zeitpunkt des Todes bestimmt, aber im Hinblick auf die Verse 1-4 bezieht sich dieser Ausspruch wohl eher auf die täglichen Kleinigkeiten, die Gott bereits kennt. Gott hatte auf wunderbare Weise den Plan für sein Leben entworfen.
Ps 139,17-18
Daher schloß David, daß die Pläne des Herrn (seine Gedanken ; vgl. V. 2 ) für sein Volk kostbar und in der Tat unzählbar sind. Beim Erwachen war Gott jeden Morgen bei ihm und breitete seine Gedanken über ihm aus.
D. Die Treue Davids
( 139,19-24 )
Dann wandte sich David seinen Problemen zu. Er versicherte, daß er treu gegen den Herrn war, und wurde durch sein Wissen um die Gegenwart des Herrn getröstet.
Ps 139,19-22
Der Psalmist bat Gott, die Gottlosen zu töten, die versucht hatten, ihn umzubringen. Diese Feinde mißbrauchten offensichtlich den Namen des HERRN (vgl. 2Mo 20,7 ), denn sie führten ihn für ihre bösen Absichten im Munde. Weil sie Gottes Feinde waren, waren sie auch Davids Feinde, wie er versicherte. Er wollte mit ihnen nichts zu tun haben. Er haßte sie, d. h. er wies sie zurück (vgl. den Kommentar zu Mal 1,3 ) und vermied jegliche Verbindung mit ihnen.
Ps 139,23-24
David schloß diesen Psalm mit einem Gebet, in dem er Gott bat, ihn zu erforschen und zu prüfen (vgl. Ps 26,2 ), um seine Treue zu erweisen, denn er war nicht den in Ps 139,19-22 erwähnten Gottlosen gleich. Das Verb "erforschen" wird in Vers 1 in bezug auf Gott gebraucht. Hier bat David Gott, ihn zu prüfen, wie Metall geprüft wird. Weil Gott alles kennt und weiß (vgl. V. 1-6 ), kannte er auch Davids ängstliche Gedanken. Gott erkannte sofort, wenn der Psalmist sich auf irgendeine Weise gegen ihn wandte (wörtl.: einen "Weg des Schmerzes" ging; es geht um den Schmerz, der die Folge der Sünde ist). Solch eine Prüfung war ein Beweis für Davids Treue. Der Herr bewahrte durch seine Führung sein Leben (ewig, ZNlAm , deutet möglicherweise auf ein verlängertes Leben hin), denn David folgte dem Herrn nach.
Jeder Gläubige, der die in diesem Psalm dargestellten Eigenschaften Gottes begreift, findet darin eine Quelle des Trostes und möchte Gott gerne gehorsam sein.
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PSALM 139
In Psalm 139 finden wir tiefe Herzensübungen in Verbindung mit den Wegen, die Gott mit den Seinigen geht. Obwohl Gott in Seiner Treue alle Seine Segensabsichten zur Ausführung bringen wird, entgeht Ihm doch kein Gedanke in dem Herzen der Seinigen. Moralisch betrachtet, kann niemand in Seiner Gegenwart weilen; aber andererseits gibt es auch kein Entfliehen vor Ihm, kein Entrinnen vor Seinem allsehenden Auge, obgleich das Gewissen nur zu gern fliehen möchte. Hier jedoch beginnt ein neuer Gedankengang: Jehova weiß alles, denn Er hat alles gebildet. Er nimmt völlig Kenntnis von uns, und zwar in Güte. ja, Er sorgt für uns und wacht über der Bildung jedes Gliedes, so wie Er jeden unserer Gedanken kennt. Aber wenn das so ist, hat Er auch Seine eigenen Gedanken, und diese sind uns köstlich. Hier zeigt sich die Wirkung des Glaubens in der Seele; daher der Umschwung in den Gedanken. Die Sache nimmt notwendigerweise ihren Anfang in dem Gewissen unter dem Auge Gottes. Es bringt uns in Seine Gegenwart; dort lernen wir die Gedanken Gottes verstehen, der uns für Sich Selbst gebildet hat und der dann unbegrenzte Kreise Seiner Segnungen und Wege vor uns aufschließt. Gott wacht über uns in der Stille des Schlafes, daher befinden wir uns beim Aufwachen in Seiner Gegenwart.
Steht die Seele jedoch in solcher Verbindung mit Gott, so hat sie mit den Gesetzlosen völlig gebrochen. Gott wird dieselben töten, und der Gläubige ruft ihnen zu: „Weichet von mir!“ Er sieht mit Abscheu auf die Gesetzlosen, eingedenk dessen, was sie für Gott sind; für sich selbst wünscht er, von Gott erforscht und geprüft zu werden, damit nichts Böses in ihm bestehen bleibe. Dieser Psalm geht weit in die Beziehungen des menschlichen Geistes zu Gott ein, obwohl das äußere Gericht der Bösen ins Auge gefasst wird und Ausdrücke gebraucht werden, die bildlich auf die Versammlung anwendbar sind und auch auf die Auferstehung hindeuten. Der so wichtige Hauptgedanke des Psalmes ist die gänzliche Durchforschung des Menschenherzens von Seiten Gottes, wie sie bei dem Überrest in den letzten Tagen stattfinden wird und wie sie stets stattfinden muss. Stehen wir nun bei dieser Erforschung noch unter unserer eigenen Verantwortlichkeit, so werden wir ausrufen: „Wohin soll ich fliehen?“ Sind wir dagegen Gottes Werk (das heißt, haben wir Seine Gnade und Macht an unserer Seele erfahren), dann werden uns Gottes Gedanken köstlich, und wir können, indem wir die Gnade kennen, bitten: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken.“ Je tiefer dies geht, desto besser, damit wir, befreit von uns selbst, fähig sein möchten, Gott zu genießen. Dann werden wir auch um Leitung bitten, nicht nur sind die eigenen Gedanken verurteilt, auch der Wille ist gebrochen und unser Begehren ist, von Gott geleitet zu werden. Die Verse 19 – 22 zeigen uns, dass der Psalm in Verbindung mit den letzten Tagen steht: „Möchtest du, o Gott, den Gesetzlosen töten!“ Das Gericht wird erwartet, und die Feinde Gottes werden gehasst und verabscheut.
Die fünf folgenden Psalmen bewegen sich auf einem uns bereits bekannten Boden, nur wolle man beachten, dass Israel auch hier noch nicht in die volle Segnung eingeführt ist, sondern, obwohl bereits wiederhergestellt, sich noch im Kampfe befindet.
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PSALM 139
Sobald sich die Stämme den Grenzen des Landes nähern, wird der Herr sie in die Wüste führen, wo Er ihre Herzen auf Aufrichtigkeit prüfen wird (Hes 11,9.10; Hes 20,34–38). Nichts wird seinem heiligen Auge entkommen. In diesem prüfenden Gericht können wir mehrere Aspekte der Gottheit des Herrn erkennen: sowohl seine Allwissenheit (Ps 139,1–6) und seine Allgegenwart (Ps 139,7–12) als auch seine Allmacht (Ps 139,13–18). Als Ergebnis dieser Prüfungen reinigen sich die Stämme von den Bösen („die Empörer“ Hes 20,38), indem sie diese aus ihrer Mitte hinaustun und sie fortan als Feinde des Herrn betrachten (Ps 139,19–22). Doch diejenigen, die echten Glauben haben und sich vollständig gedemütigt haben, werden ins Land geführt. Nach einem gebrochenen Eigenwillen und einem Bewusstsein, das unter dem Gericht Gottes war, haben sie nun nur noch einen Wunsch: von Gott auf ewigem Weg geleitet zu werden (Ps 139,23.24).