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J.D. Pentecost; Bibel und Zukunft - Teil 1 - Kapitel 1

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  • J.D. Pentecost; Bibel und Zukunft - Teil 1 - Kapitel 1

    Prüfet Alles und das Gute behaltet !
    __________________________________________________ ________________

    Vorwort & Einleitung draufdrücken

    __________________________________________________ ________________

    TEIL 1: DIE AUSLEGUNG DER PROPHETIE
    KAPITEL I: DIE METHODEN DER AUSLEGUNG

    Einleitung

    Die Frage, welche Auslegungsmethode auf die prophetischen Schriften angewandt werden
    muß, ist die wichtigste, die sich einem Studenten der Eschatologie stellt. Die Anwendung
    unterschiedlicher Methoden der Auslegung hat zu den verschiedensten eschatologischen
    Positionen geführt und ist für die voneinander abweichenden Ansichten verantwortlich, mit
    denen ein Student der Prophetie konfrontiert wird. Die grundlegenden Unterschiede
    zwischen den prämillenialistischen und postmillenialistischen Schulen sowie zwischen den
    Vertretern der Vor-Entrückung und der Nach-Entrückung basieren letzlich auf dem Ansatz
    gegensätzlicher, unvereinbarer Auslegungsmethoden.

    Diesen strittigsten Punkt zwischen Prämillenialisten und Amillenialisten hat Allis klar erkannt, wenn er schreibt:


    Eines der herausragendsten Kennzeichen des Prämillenialismus in seinen verschiedenen
    Schattierungen ist seine Betonung der wörtlichen Auslegung der Schrift. So bestehen
    seine Befürworter mit Beharrlichkeit darauf, da allein die wörtlich ausgelegte Bibel die recht ausgelegte sei. Jeder,
    der die Auslegung nicht genauso wörtlich betreibt wie sie, wird als "Spiritualisierer"1 oder als "Allegorisierer"
    gebrandmarkt. Keiner hat diese Anschuldigung mit solcher Schärfe vorgetragen wie die Dispensationalisten2.
    Der Streitfall wörtliche gegen sinnbildliche Auslegung ist daher das allererste,
    womit man sich befassen muß.
    (Hervorhebung durch J.D.Pentecost)3

    Allis stimmt mit Feinberg überein, wenn er einräumt,
    daß die wörtliche Schriftauslegung immer schon eines der herausragensten
    Kennzeichen des Prämillenialismus gewesen sei
    .4

    Feinberg schreibt:
    ————————

    1 Spiritualisierer: "Vergeistiger"
    2 Dispensationalisten: Verteidiger der Haushaltungslehre.
    3 Oswald t. Allis, Prophecy and the Church, Seite 17
    4 Ebd. Seite 244; für weitere Bezugnahme zur wörtlichen Auslegung auf der Grundlage des Prämillenianismus siehe Seiten: 99, 116, 218, 227, 242, 256

    ————————

    Es kann nachgewiesen werden, daß der Prämillenialismus des Frühchristentums auf
    deren wörtliche Auslegung der Schrift zurückzuführen ist. Daß man in späteren Jahrhunderten der
    Kirchengeschichte von dieser Sicht abkam, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Wechsel
    der Auslegungsmethode, der insbesondere mit Origines begann.1

    Hamilton meint:
    Wir müssen nun offen zugeben, daß sich bei wörtlicher Auslegung der Prophezeiungen
    des Alten Testamentes ein Bild der irdischen Herrschaft des Messias wie bei den prämil-
    lenialistischen Darstellungen ergibt. Nach einem solchen messianischen Königtum hielten
    auch die Juden zur Zeit Christi wegen ihrer wörtlichen Auslegung der Verheißungen des
    Alten Testamentes Ausschau. Über ein solches Königreich unterhielten sich die Sadduzä-
    er, als sie sich über die Auferstehung des Leibes lustig machten, Sie veranlaßten damit
    unseren HERRN zur eindeutigsten Erklärung, die wir im Neuen Testament über das
    Wesen des zukünftigen Zeitalters haben. Er antwortete ihnen: Ihr irrt, weil ihr die
    Schriften nicht kennt, noch die Kraft Gottes
    (Mt.22,29). ...die Juden erwarteten genau
    das Königreich, womit heute jene Prämillenialisten rechnen, die lehren, daß der Messias von Jerusalem aus,
    ein irdisches, jüdisches Königreich errichten wird, in welchem die Juden einen hervorragenden Platz einnehmen werden.2

    Wie sind die Schriftstellen auszulegen, die das Kommen eines solchen irdischen Königreichs lehren?
    Hamilton gibt zu erkennen, da sich seine amillenialistische und die
    prämillenialistische Position hauptsächlich durch unterschiedliche Antworten auf diese
    Frage unterscheiden. Allis gibt zu, daß man die Prophezeiungen des Alten Testamentes
    weder als erfüllt ansehen noch damit rechnen kann, daß sie sich in dieser Generation erfüllen,
    wenn man sie wörtlich auslegt.3 Bevor man also prophetische Schriften und
    eschatologische Lehren diskutiert, muß man sich über die Auslegungsmethode klar werden,
    die dabei zur Anwendung kommen soll. Das hat Pieters klar erkannt. Er schreibt:


    Müssen die Prophezeiungen des Alten Testamentes, die sich auf das Volk Gottes beziehen,
    in ihrem ursprünglichen Sinn wie andere Schriftstellen auch ausgelegt werden,
    oder darf man sie auf die christliche Kirche anwenden? Dieser Frage nach einer möglichen
    Vergeistigung der Prophetie, die so entscheidend für die biblische Auslegung ist,
    wird sich jeder gegenübergestellt sehen, der ernsthaft das Wort Gottes studieren will. Sie ist
    ursächlich für die unterschiedlichen Auffassungen, die zwischen Prämillenialisten und der

    ——————-
    1 Charles L. Feinberg, Premillennialism or Amillenialism, Seite 51.
    2 Floyd E. Hamilton, The Basis of Millennial Faith, Seiten 38-39.
    3 Allis, a.a.O., Seite 238.

    ———————
    Masse der christlichen Gelehrten bestehen. Während die letzten eine solche Vergeistigung
    ablehnen, wenden die erstgenannten sie an. Solange es in diesem Punkt zu keiner
    Übereinstimmung kommt, bleibt die Debatte end- und fruchtlos.

    (Hervorhebung durch J.D.Pentecost)1


    a) Das eigentliche Problem

    Wenn Rutgers recht hat, wenn er über die Prämillenialisten sagt: Ich halte ihre Schrift-
    auslegung für den entscheidenden Fehler2 und wenn der bekannte Unterschied zwischen
    Prämillenialisten und Amillenialisten auf verschiedenen Methoden der Schriftauslegung
    beruht, dann muß die Frage nach der rechten Hermeneutik der Prophetie vor allen anderen
    eschatologischen Erwägungen stehen. Es ist die Absicht dieses Werkes, die wichtigsten
    Methoden zu untersuchen, die gemeinhin als für die Schriftauslegung geeignet verfochten
    werden, um deutlich aufzuzeigen, worin sich diese Methoden unterscheiden. Es will die
    Dogmengeschichte studieren, um so in die Lage zu versetzen, die unterschiedlichen
    Methoden zu ihren Quellen zurückzuverfolgen, und die Regeln zu skizzieren, die bei der
    Auslegung beachtet werden müssen, damit die jeweilige Auslegungsmethode korrekt
    angewandt werden kann.


    b) Die Wichtigkeit dieses Studiums

    Die wichtigste Aufgabe eines hermeneutischen Systems ist es, die Bedeutung des Wortes
    Gottes zu ermitteln.3 Es ist offensichtlich, daß so weit auseinanderklaffende Ansichten wie
    der Prämillenialismus und der Amillenialismus sowie die Vor- und Nach-Entrückungslehre
    nicht alle zugleich richtig sein können. Wenn somit die Studien eines Auslegers nicht
    zwangsläufig zu fehlerhaften Ergebnissen führen sollen, muß er mit einer exakten Aus-
    legungsmethode arbeiten, da er es mit Gottes Wort und nicht mit einem Buch menschlichen
    Ursprungs zu tun hat. Die Tatsache, daß das Wort Gottes nicht ohne eine richtige Methode
    und gesunde Regeln für die Auslegung richtig ausgelegt werden kann, verleiht dem
    Studium der Hermeneutik4 seine überragende Bedeutung.
    ——————

    1 Albertus Pieters, The Leader, 5.9.1934, zitiert von Gerrit H. Hospers, The Principle of Spiritualization in Hermeneutics. Seite 5.
    2 William H.Rugers, Premillennialism in America, Seite 263.
    3 Bernard Ramm, Protestant Biblical Interpretation, Seite 1.
    4 Hermeneutik: Deutung.

    —————
    Während im Lauf der Auslegungsgeschichte viele verschiedene Methoden zur Schrift-
    auslegung vorgeschlagen wurden1, gibt es heute nur noch zwei Methoden, die einen
    entscheidenden Einfluß auf die Eschatologie haben: die allegorische und die grammatika-
    lisch-historische Methode. Statt des Begriffes "grammatikalisch-historische Methode" wird
    meist einfach von der wörtlichen Auslegungsmethode gesprochen, so daß im vorliegenden
    Werk diese Bezeichnung verwandt wird. Beide Methoden sollen nun detailliert erörtert werden.


    I. Die allegorische Methode

    Die allegorische Methode ist eine sehr alte Methode der Schriftauslegung, die in der
    gegenwärtigen Zeit wieder aufblüht.


    a) Definition der allegorischen Methode

    Im Angus und Green Bibel-Handbuch wird Allegorie wie folgt definiert:


    Jede Aufzeichnung vermeintlicher Fakten, die sich wörtlich auslegen läßt, die aber
    darüber hinaus eine moralische oder bildliche Auslegung erfordert oder zumindest eine
    solche Auslegung zuläßt, nennt man eine "Allegorie". Was man in bezug auf einen
    einzigen Begriff als Trope bezeichnet (Trope: "Wendung", Vertauschung des eigentlichen
    Ausdrucks mit einem bildlichen, z.B. "Bacchus" statt "Wein", so Duden), umschreibt man
    hinsichtlich einer ganzen Erzählung oder Geschichte als Allegorie.
    Die Allegorie fügt der wörtlichen Bedeutung der in einem Text verwandten Begriffe eine
    moralische oder geistige/geistliche hinzu. Man unterscheidet zwischen reinen Allegorien,
    bei denen im Text selbst kein Hinweis auf die Anwendung der Allegorie gegeben wird
    (s. z.B. die Geschichte vom verlorenen Sohn), und gemischten Allegorien, bei denen
    deutlich zutage tritt, auf welche Sache ein benutztes Bild Anwendung findet
    (s. z.B. Ps.80, in dem für Israel das Bild des Weinstockes gebraucht wird)
    2

    Ramm definiert die allegorische Methode wie folgt:


    Diese Auslegungsmethode findet auf Texte Anwendung, bei denen der wörtliche Sinn als
    Vehikel für einen zweiten geistigeren, tieferen Sinn dient.
    3
    —————

    1 Milton S. Terry, Biblical Hermeneutics, auf den Seiten 163-174 werden die verschiedensten Methoden untersucht.
    2 Joseph Angus and Samuel G.Green, The Bible Handbook, Seite 220.
    3 Ramm, a.a.O., Seite 21.

    ————-
    Bei dieser Methode wird die historische Tragweite eines Textes entweder geleugnet oder
    außer acht gelassen, während die Auslegung ganz entschieden den zweiten Sinn betont, so
    daß die ursprünglichen Worte oder Ereignisse wenig oder überhaupt keine Bedeutung mehr
    haben. Fritsch faßt diesen Sachverhalt wie folgt zusammen:


    Nach dieser Methode wird der wörtliche und historische Sinn der Schrift völlig ignoriert.
    Stattdessen wird jedes Wort und jedes Ereignis allegorisch gedeutet, um somit entweder
    theologischen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen oder um bestimmte eigentümliche
    religiöse Ansichten aufrechterhalten zu können
    1

    Es will scheinen, daß die allegorische Methode nicht die Auslegung, sondern die Ver-
    drehung der wahren Bedeutung der Schrift beabsichtigt, wenngleich dies unter dem Vor-
    wand geschieht, nach einer tieferen, geistlicheren Bedeutung zu suchen.


    b) Gefahren der allegorischen Methode

    Die allegorische Methode ist mit verschiedenen Gefahren verbunden und somit letztlich
    für einen Schriftausleger inakzeptabel.

    1. Die erste und größte Gefahr dieser Methode liegt darin, daß sie nicht die Schrift
    auslegt. Terry schreibt:


    ...man wird sofort feststellen, da sie gewöhnlich die üblichen Wortbedeutungen
    miachtet und allen möglichen phantasievollen Spekulationen Raum gibt. Sie arbeitet
    nicht heraus, was die Sprache eines Autors folgerichtig meint, sondern halst ihr das auf,
    was aus der Laune oder Phantasie des Auslegers nun gerade geboren wird. Dieses
    Auslegungssystem hat also nichts zu tun mit gut definierten Prinzipien und Gesetz-
    mäßigkeiten.
    2

    Angus und Green bringen die gleiche Gefahr zum Ausdruck, sie schreiben:


    Es entsteht ... ein unbegrenztes Betätigungsfeld für die Phantasie, wenn man sich erst
    einmal für dieses Auslegungssystem entschieden hat. Alle Erklärungen basieren dabei
    letztlich allein auf den Gedanken des jeweiligen Auslegers. Diese Methode kann keine
    Auslegung hervorbringen, die diese Bezeichnung wirklich verdient, obwohl durch sie
    möglicherweise einige wertvolle Wahrheiten illustriert werden.
    3
    —————
    1 Charles T. Fritsch, Biblical Typlogy; Bibliotheka Sacra, 104:216, April 1947.
    2 Terry, a.a.O., Seite 224.
    3 Angus Green, a.a.O.

    —————
    2.Obiges Zitat weist weiter auf eine zweite große Gefahr der allegorischen Methode hin:
    Grundlegende Autorität für die Auslegung ist nicht länger die Schrift, sondern die Gesin-
    nung des Auslegers. Die Auslegung mag im einzelnen beeinflußt werden von den dogmati-
    schen Positionen des Auslegers, der Autorität der Kirche, zu der er gehört, seinem sozialen
    Hintergrund, seiner Bildung oder von vielen anderen Dingen mehr.

    Hieronymus beklagt sich:


    ...daß die fehlerhafte Art zu lehren, dazu führt, daß die Bedeutung der Schrift verfälscht
    wird und daß Aussagen, die unserem eigenem Willen widerstreben, entkräftet werden.
    Dabei machen wir unsere eigenen Vorstellungen zu Mysterien der Schrift.
    1

    Farrar fügt hinzu:


    Wenn wir uns erst einmal für das allegorische Prinzip entschieden haben, wenn wir erst
    einmal die Regel anerkannt haben, daß ganze Abschnitte, ja Bücher der Schrift, von einer
    bestimmten Sache reden, während sie eine ganz andere meinen, dann ist der Leser auf
    Gedeih und Verderb den Launen des Auslegers ausgeliefert.
    2

    3. Eine dritte große Gefahr der allegorischen Methode ist darin zu sehen, daß dem Leser
    nichts an die Hand gegeben wird, womit er die Schlußfolgerungen des Auslegers über-
    prüfen könnte. Hierzu Farrar:


    Außer den Diktaten der Kirche bleibt ihm rein gar nichts, dessen er sich sicher sein
    kann. Nun wurde die Autorität 'der Kirche' zu allen Zeiten fälschlich für die anmaßende
    Tyrannei falscher herrschender Meinungen in Anspruch genommen.
    3

    Ramm ergänzt:


    ….wenn man behauptet, daß die eigentliche Bedeutung der Schrift nicht in ihrem wörtli-
    chen Sinn liegt und da die Hauptmethode der Schriftauslegung die der Vergeistigung ist,
    dann wird damit die Tür nahezu allen Spekulationen und Vorstellungen weit geöffnet.
    Daher haben wir darauf bestanden, daß die wörtliche Methode zur Prüfung der Aus-
    legung dienen muß.
    4

    Allis, selbst ein Verfechter der allegorischen Methode auf dem Gebiet der Eschatologie,
    gibt zu, daß diese Gefahren existieren und daß diese Auslegungs-Methode benutzt wird, um
    die Schrift zu verdrehen, wenn er sagt:

    —————
    1 Zitiert von F.W. Farrar, History of Interpretation, Seite 232.
    2 Ebd., Seite 238.
    3 Ebd.
    4 Ramm, a.a.O., Seite 65.

    —————
    Ob die bildliche oder "geistige" Auslegung eines Abschnitts gerechtfertigt ist oder nicht,
    hängt einzig davon ab, ob die Aussage des Abschnitts auf diese Weise richtig erfaßt wird.
    Wenn sie benutzt wird, um Begriffe ihrer eindeutigen und offensichtlichen Bedeutung zu
    berauben, um das zu übergehen, was diese klar zu sagen beabsichtigen, dann werden
    "allegorisieren" und "vergeistigen" mit Recht zu Scheltwörtern.
    1

    Somit liegen die großen, diesem Auslegungssystem innewohnenden Gefahren darin, daß es der Schrift die Autorität nimmt,
    daß es keine Basis zur Überprüfung der Auslegungen bietet, daß es die Schrift auf das reduziert,
    was dem Ausleger vernünftig erscheint, und daß es infolgedessen eine wirkliche
    Auslegung der Schrift unmöglich macht.


    C) Verwendung der Allegorie im Neuen Testament

    Um den Gebrauch der allegorischen Methode zu rechtfertigen, wird oft angeführt, daß
    das Neue Testament ja selbst diese Methode anwende und da sie folglich eine rechtmäßige
    Auslegungsmethode sein müsse.

    1. Dabei führt man vor allem Gal.4,21-31 an, da Paulus dort selbst die allegorische Methode benutze.
    Zu einer Anwendung der Allegorie, wie sie hier vorkommt, stellt Farrar fest:


    Ich finde im ganzen Neuen Testament nur eine einzige Allegorie (Gal4,21-31), die in
    etwa denen Philos, der Kirchenväter oder der Scholastiker ähnelt. Es mag sein, daß
    Paulus die Bilder an dieser Stelle lediglich als "argumentum ad hominem"
    2 benutzt, da
    sie für seine grundsätzliche Beweisführung überhaupt nicht wesentlich und auch nicht
    von schlagender Uberzeugungskraft sind. Auf jeden Fall aber gehen diese Verse nicht
    näher auf das eigentliche historische Geschehen ein. Doch gleichgültig was wir von
    diesem Abschnitt halten, genausowenig wie ein paar Anspielungen des Neuen Testa-
    mentes auf die "Haggada"
    3 uns zwingen die Sammlungen der Midrasch anzuerkennen
    oder wie einige Zitate griechischer Dichter die "göttliche" Autorität aller heidnischen
    Literatur beweisen, genausowenig rechtfertigt das Vorkommen einer einzigen Allegorie
    dieser Art in den Briefen des Paulus die generelle Anwendung der allegorischen Methode
    4

    Gilbert schlußfolgert ähnlich:

    ———————
    1 Allis, a.a.O., Seite 18.
    2 Argumentum ad hominem = Argumentation, die sich an den ganzen Menschen, auch gefühlsmäßig richtet (menschliches Argument).
    3 Haggada: erbaulich-belehrende Erzählung biblischer Stoffe im Talmud.
    4 Farrar, a.a.O., Seite xxili.

    ———————

    Da Paulus ein historisches Ereignis des Alten Testamentes allegorisch erklärt, ist es
    wahrscheinlich, daß er die Möglichkeit zuläßt, das allegorische Prinzip auch an anderen
    Siellen anzuwenden. Auf der anderen Seite legt die Tatsache, daß er in seinen Briefen
    keine andere unmißverständliche Illustration dieser Art gebraucht, die Vermutung nahe,
    daß er sich selbst nicht in der Lage sah, die allegorische Bedeutung der Schrift zu entfal-
    ten, oder, was wahrscheinlicher ist, daß er es alles in allem vorzog, seinen Lesern den
    offenkundigen, ursprünglichen Sinn eines Textes aufzuzeigen.
    1

    Farrar meint in bezug auf die Anwendung dieser Methode durch andere neutestamentliche Schreiber:


    Die geläuterte jüdische Lehre, wie sie im Christentum vor uns tritt, nimmt die der Alten
    Haushaltungslehre wörtlich, sieht aber in ihnen den Keim und die Vorschattung zukünf-
    tiger Entwicklungen, wie es Paulus tat. Obwohl Paulus einmal eine Allegorie zur Illustra-
    tion benutzt, hat Christus deren Gebrauch niemals gutgeheißen, und keiner der anderen
    Apostel hat Allegorien je angewandt.
    2

    Man muß sorgfältig beachten, daß Paulus in Gal.4,21-31 eine Allegorie erklärt und nicht
    etwa die allegorische Methode zur Auslegung des Alten Testamentes benutzt. Das eine hat
    mit dem anderen nichts zu tun. Die Schrift ist voll von Allegorien, seien es nun Typen,
    Sinnbilder oder Gleichnisse. Sie sind anerkannte und legitime Mittel zur Ubermittlung von Gedanken,
    erfordern aber keine allegorische Auslegungsmethode, die das eigentliche Geschehen bzw.
    den historischen Hintergrund nicht beachtet und lediglich als Sprungbrett für die Phantasie des Auslegers dient.
    Sie erfordern in der Tat eine ganz besondere hermeneutische Behandlung, die später behandelt werden wird.
    Das Vorkommen von Allegorien berechtigt nicht zur Anwendung der allegorischen Auslegungsmethode. Es bleibt festzuhal-
    ten, daß der Gebrauch des Alten Testamentes im Galaterbrief ein Beispiel für die Auslegung einer Allegorie ist und nicht die
    generelle Anwendung der allegorischen Methode auf die ganze Schrift rechtfertigt.

    2. Daneben begründet man den Gebrauch der allegorischen Methode mit der Benutzung
    von Sinnbildern im Neuen Testament. Es ist anerkannt, daß im Neuen Testament typologi-
    sche Anwendungen des Alten Testamentes erfolgen. Von daher argumentiert man, da das
    Neue Testament die allegorische Auslegungmethode gebrauche, darauf beharrend, daß die Auslegung
    und Anwendung von Typen eine allegorische Auslegungsmethode sei. Allis
    argumentiert so:


    Zwar legen die Dispensationalisten extrem wörtlich aus, wobei sie aber sehr inkon-
    sequent sind. Prophetie legen sie wörtlich aus, während sie bei geschichtlichen Ereignis-

    —————
    1 George H.Gilbert, The Interpretation of the Bible, Seite 82.
    2 Farrar, a.a.O., Seite 217.

    ————

    sen die Typologie so auf die Spitze treiben, daß sie selbst von den leidenschaftlichsten
    Verfechtern der allegorischen Methode kaum noch zu überbieten sind.
    1

    In Entgegnung auf die Anklage, daß jeder, der typologisch deutet, die allegorische
    Methode benutzt, muß hervorgehoben werden, da typologische und allegorische Auslegung
    nicht das gleiche ist. Die Wirksamkeit eines Typus hängt von der wörtlichen Auslegung des
    zugrundeliegenden Textes ab. Um Wahrheiten zu übermitteln, die das uns nicht vertraute
    geistliche Gebiet betreffen, muß die Belehrung in einem Bereich erfolgen, der uns bekannt
    ist, damit wir durch Übertragung dessen, was in dem einen Bereich wahr ist, lernen, was
    in dem anderen Bereich gilt. Es muß eine eindeutige Parallele zwischen dem Typus und
    dem Gegenbild existieren, damit der Typus überhaupt Sinn macht. Wenn man Sinnbilder
    allegorisiert, gelangt man niemals zu einer richtigen Auslegung. Man kann die Bedeutung
    eines Typus nur herausfinden, indem man den eigentlichen Sinn eines Textes aus dem
    natürlichen in den geistlichen Bereich überträgt. Chafer bemerkt richtig:


    Beim Studium der unterschiedlichsten Allegorien, seien es Gleichnisse, Typen oder
    Sinnbilder, muß der Ausleger sorgfältig darauf achten, daß er klare Aussagen der Schrift
    als solche erkennt und sie nicht als sinnbildlich auffaßt. An dieser Stelle soll eine bereits
    geäußerte Wahrheit noch einmal wiederholt werden: es ist ein gewaltiger Unterschied,
    ob man einerseits eine in der Schrift vorkommende Allegorie auslegt oder ob man
    andererseits eindeutige Aussagen der Schrift für allegorisch hält.
    2

    Wir schlußfolgern demnach, daß der Gebrauch von Typen in der Schrift keineswegs die
    Anwendung der allegorischen Auslegungsmethode sanktioniert.


    II. Die wörtliche (literale) Methode

    Die wörtliche oder grammatikalisch-historische Methode der Auslegung steht der allegorischen direkt entgegen.

    a) Definition der wörtlichen Methode

    Die wörtliche Methode der Schriftauslegung gibt jedem Wort exakt die Bedeutung, die
    es auch im normalen, gewöhnlichen Gebrauch haben würde, sei es nun im Sprechen,
    ——————

    1 Allis, a.a.O., Seite 21.
    2 Rollin T. Chafer, The Science of Biblical Hermeneutics, Seite 80.

    ——————
    Schreiben oder Denken1. Sie wird auch grammatikalisch-historische Methode genannt, um hervorzuheben,
    daß zur Ermittlung der Wortbedeutung Erwägungen sowohl zur Grammatik als auch zum historischen Kontext erforderlich sind2

    Ramm definiert diese Methode wie folgt:


    Die gewöhnliche, allgemein anerkannte Bedeutung eines Wortes ist zugleich seine
    wörtliche Bedeutung.


    Die "wörtliche" Bedeutung eines Wortes meint dessen grundsätzlichen, herkömmlichen und sozialen Sinngehalt.
    Der geistliche oder sinnbildliche Gehalt eines Wortes ist der wörtlichen Bedeutung nachgeordnet und von dieser abhängig.
    Wörtlich auszulegen meint also nicht mehr und nicht weniger, als unter Berücksichtigung der normalen, gewöhnlichen
    Wortbedeutung auszulegen. Wenn sich in einem Text der Sinngehalt eines Wortes ändert, hat sich die Auslegung
    sofort darauf einzustellen.3


    b) Beweise für die wörtliche Methode

    Für die wörtliche Methode der Auslegung gibt es gewichtige Beweise. Ramm gibt eine
    umfassende Zusammenfassung:

    Zur Verteidigung der wörtlichen Methode kann argumentiert werden:


    a) da man normalerweise in allen Sprachen zunächst von der wörtlichen Bedeutung
    eines Satzes ausgeht...

    b) daß darüber hinaus zusätzliche Bedeutungen von Dokumenten, Gleichnissen, Typen,
    Allegorien und Sinnbildern nur in Abhängigkeit von der wörtlichen Bedeutung des
    zugrundeliegenden Begriffes existieren.

    c) daß der größte Teil der Bibel einen angemessenen Sinn ergibt, wenn er wörtlich
    ausgelegt wird...

    d) daß sie sich nicht blind über sprachliche Figuren, Symbole, Allegorien oder Typen
    hinwegsetzt, sondern bereitwillig einen anderen als den wörtlichen Sinn anerkennt, wenn das natürliche Textverständnis dies erfordert..

    e) daß diese Methode den einzig sicheren Schutz vor menschlicher Phantasie bietet...

    f) daß allein diese Methode dem Wesen der Inspiration entspricht. Die Lehre von der
    Vollinspiration der Bibel beinhaltet, daß der Heilige Geist Menschen in die Wahrheit
    einleitete und sie von Irrtümern wegführte. Zu diesem Zweck benutzte der Geist Gottes

    ————-
    1 Ramm, a.a.O., Seite 53.
    2 Vgl. Thomas Hartwell Horne, An Introduction to the Critical Study and Knowledge of the Holy Scriptures, 1, 322
    3 Ramm, a.a.O., Seite 64.

    —————

    Sprache, die sich (was ihre Bedeutung betrifft, nicht bezüglich des Klangs) aus Wörtern
    und Gedanken zusammensetzt. Ein Gedankengang stellt den Faden dar, mit dessen Hilfe
    die Wörter verknüpft werden. Daher muß unsere Exegese mit einem Studium der Wörter
    und der Grammatik beginnen, die die zwei fundamentalen Komponenten
    allen sinnvollen Sprechens sind.
    1

    Da Gott ja Sein Wort den Menschen als Offenbarung gegeben hat, kann man doch
    annehmen, daß dies auf eine Art und Weise geschehen ist, die gewährleistet, daß Seine
    Gedanken fehlerfrei übermittelt und verstanden werden, wenn man sie entsprechend den
    grammatikalischen und sprachlichen Gesetzen auslegt. Ein solcher Indizienbeweis spricht
    für die wörtliche Auslegung, während die allegorische Methode den Sinn der Botschaft,
    die Gott den Menschen überliefert hat, verdunkeln würde. Die Tatsache,
    daß die Schrift fortwährend auf wörtliche Auslegungen dessen, was zuvor geschrieben wurde,
    hinweist, ist ein weiterer Beweis für die bei der Schriftauslegung anzuwendende Methode.
    Einer der besten Beweise für die wörtliche Methode ist wohl die Anwendung,
    die das Alte Testament im Neuen Testament erfährt. Das NT benutzt das AT immer nur im wörtlichen Sinn.
    Man braucht nur die Prophezeiungen zu studieren, die sich beim ersten Kommen Christi, in Seinem Leben,
    Seinem Dienst und Seinem Tod erfüllten, um dies bestätigt zu finden. Alle Prophezeiungen,
    die sich bisher vollständig erfüllt haben, haben sich wörtlich erfüllt.2 Obwohl Prophezeiungen im NT zitiert werden mögen,
    um zu verdeutlichen, daß ein bestimmtes Ereignis eine teilweise Erfüllung dieser Prophezeiung ist (so z.B. in Mt.2,17-18),
    oder um zu zeigen, da ein Ereignis Gottes feststehendem Heilsplan entspricht (so in Apg.15),
    heißt dies nicht, daß man an diesen Stellen zwingend von einer nichtwörtlichen
    Erfüllung ausgehen oder deren künftige völlige Erfüllung ausschließen muß; denn mit solchen
    Hinweisen auf Prophezeiungen ist deren Erfüllung nicht notwendigerweise schon erschöpft.
    Somit stellen derartige Bezugnahmen auf Prophetie kein Argument für eine nichtwörtliche Methode dar.

    Wir schlußfolgern aus diesen Erwägungen, da es Beweismittel für die Stichhaltigkeit der
    wörtlichen Auslegungsmethode gibt. Weitere Beweise für die wörtliche Methode sollen
    später, bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Auslegung, vorgestellt werden.


    C) Vorteile der wörtlichen Methode

    Diese Methode bietet gegenüber der allegorischen gewisse Vorteile, die Ramm wie folgt zusammenfaßt:
    ——————-

    1 Ebd., Seite 54ff.
    2 Cf. Feinberg, Seite 39.

    ———————
    a) Sie gründet die Auslegung auf Tatsachen. Sie ist bestrebt, sich selbst durch objektive
    Daten zu beweisen: Grammatik, Logik, Etymologie1, Geschichte, Geographie, Archäologie, Theologie...

    b) Sie kontrolliert die Auslegung, welche (allein) anhand der wissenschaftlichen Methode experimentiert.
    Rechtfertigung ist die Kontrolle der Auslegung. Alles, was nicht zu den Regeln dieser wörtlichen,
    dem kulturellen Hintergrund entsprechenden und kritischen
    Methode paßt, ist abzulehnen oder mit Vorsicht zu genießen.
    Daneben bietet allein diese Methode verläßlichen Schutz vor der konstanten
    Bedrohung durch doppeldeutige Schriftauslegung..

    c) Beim Aufschließen des Wortes Gottes hat sie den größten Erfolg.
    Erst nach anderthalb Jahrtausenden Kirchengeschichte kam es so zu ernsthafter Exegese.
    Mit dem Literalismus Luthers und Calvins leuchtete das Licht der Schrift hell auf ...
    Diese Methode ist die anerkannte Methode der besten akademischen Tradition im konservativen
    Protestantismus.
    Es ist die Methode von Bruce, Lightfoot, Zahn, A.T.Robertson, Ellicott, Machen, Cremer, Terry,
    Farrar, Lange, Green, Oehler, Schaff, Sampey, Wilson, Moule, Perowne,
    Henderson Broadus und Stuart, um nur ein paar bekannte Exegeten zu nennen.2

    In Ergänzung dieser Vorteile sei hinzugefügt, daß d) sie uns eine grundlegende Autorität
    zur Uberprüfung der Auslegungen an die Hand gibt, die bei der allegorischen Methode
    fehlt. Stattdessen hängt letztere von der jeweiligen Überzeugung des Auslegers oder von
    dessen Übereinstimmung mit einem vorgegebenem theologischen System ab.
    Bei der wörtlichen Methode kann man die Schrift mit der Schrift vergleichen,
    da diese als inspiriertes Wort Gottes autoritativ und der Maßstab ist, an dem jede Wahrheit gemessen
    werden muß. Somit ist man

    e) nicht auf den Verstand oder auf mystische Erlebnisse als Vorbedingungen einer Auslegung angewiesen. Rechte Auslegung ist nicht von intellektueller Ausbildung oder entsprechender Befähigung, noch von der Entwicklung eines mystischen Empfindungsvermögens abhängig, sondern vielmehr von einem Verständnis, wie das
    Geschriebene im allgemeinen zu verstehen ist. Nur auf dieser Grundlage kann der gewöhn-
    liche Bibelleser die Schrift verstehen und für sich selbst auslegen.


    d) Wörtliche Methode und Bildersprache

    Es ist unbestritten, daß die Bibel reich an Bildersprache ist. Daher wird oft argumentiert,
    daß Bildersprache eine sinnbildliche Auslegung notwendig mache. Es muß aber bedacht
    werden, daß hier sprachliche Figuren benutzt werden, um buchstäbliche Wahrheiten zu
    —————-

    1 Etymologie: Herkunft und Grundbedeutung der Wörter.
    2 Ramm, a.a.O., Seiten 62-63.

    ——————
    offenbaren. Was in einem uns bekannten Bereich buchstäblich wahr ist, wird auf einen
    anderen Bereich übertragen, der uns vielleicht nicht so bekannt ist, um uns so die Wahr.
    heiten des uns weniger geläufigen Bereichs zu lehren.

    Gigot illustriert sehr schön diese Beziehung zwischen buchstäblicher Wahrheit und
    Bildersprache:

    Wenn Wörter in ihrer natürlichen und einfachen Bedeutung verwendet werden, geben sie
    den ihnen eigenen, wörtlichen Sinn wieder. Wenn sie dagegen sinnbildlich oder abgelei-
    tet gebraucht werden, wird der jeweilige Sinn als metaphorisch oder übertragen bezeich-
    net, obwohl er noch an der Wortbedeutung festhält. Wenn wir zum Beispiel in Johannes
    1,6 lesen, "Da war ein Mensch ... sein Name Johannes", ist klar, daß hier alle Worte in
    ihrem ureigenen, natürlichen Sinn verwandt werden. Der Schreiber spricht von einem
    real existierenden Mann, dessen wirklicher Name Johannes war. Als aber Johannes der
    Täufer auf Jesus zeigt und sagt:
    "Siehe, das Lamm Gottes" (Joh.1,29), ist unmißverständlich, daß er das Wort "Lamm"
    nicht in einem streng wörtlichen Sinn benutzt, da er nicht von einem Tier=Lamm spricht.
    Vielmehr will er ausdrücken, da Jesus in einem
    abgeleiteten, bildlichen Sinn als Lamm Gottes bezeichnet werden kann; dies ist die
    buchstäbliche Bedeutung seiner Worte. Im ersten Fall werden die Worte in ihrem streng
    wörtlichen Sinn gebraucht, im zweiten in ihrer sinnbildlichen Bedeutung.

    Es ist eine so eindeutige, allgemein anerkannte Wahrheit, daß die Bücher der Heiligen
    Schrift eine wörtliche Bedeutung (im strengen oder im metaphorischen Sinn, wie oben
    erläutert) haben, also einen unmittelbar vom inspirierten Schreiber beabsichtigten Sinn,
    daß es müßig wäre, dies hier noch stärker hervorzuheben. ... Gibt es Abschnitte in der
    Heiligen Schrift, die neben der wörtlichen eine weitere Bedeutung haben? ..da die
    heiligen Bücher von und für Menschen zusammengestellt wurden, wird von allen eingestanden,
    daß die Schreiber selbstverständlich dem grundlegendsten Gesetz der menschlichen
    Kommunikation Genüge taten. Dieses sieht vor, daß nur ein präziser Sinn direkt durch die
    Worte eines Sprechers oder Schreibers ausgedrückt werden soll…1

    Craven führt die gleiche Beziehung für Bildersprache und wörtliche Wahrheit an:

    Es hat wohl selten unpassendere Bezeichungen als 'wörtlich und 'spirituell (geistig/-geistlich)'
    für die zwei großen Schulen der prophetischen Auslegung gegeben. Die beiden Begriffe sind
    weder gegensätzlich, noch verdeutlichen sie hinreichend die Besonderheiten der Systeme,
    die sie eigentlich charakterisieren sollten. Sie sind absolut irreführend und verwirrend. 'Wörtlich'
    steht nicht im Gegensatz zu 'spirituell', sondern zu 'sinnbildlich', während 'spirituell' das Gegenteil von
    'materiell' bzw. 'fleischlich' (im negativen Sinn) ist. Der Literalist (jemand, der wörtlich auslegt)
    leugnet keineswegs, daß in der Prophetie sinnbildliche Sprache und Symbole verwendet oder
    daß große geistliche Wahrheiten auf diese Weise erläutert werden. Er vertritt ganz einfach die Position,
    daß bei der
    —————-

    1 Francis E. Gigot, General Introduction to the Study of the Holy Scriptures, Seiten 386-387.
    —————
    Auslegung von Prophezeiungen die normalen, sprachlichen Gesetzmäßigkeiten genauso
    zu berücksichtigen sind, wie bei anderem Schrifttum auch. Das, was offensichtlich
    sinnbildlich gemeint ist, muß entsprechend ausgelegt werden. Der 'Spiritualist' (jemand,
    der spirituell auslegt) achter bei der Auslegung nicht streng auf die eigentliche Bedeutung
    eines Begriffes. Er ist der Meinung, daß Prophezeiungen einesteils normal auszulegen
    sind, während sie anderenteils eine mystische (geheimnisvolle) Bedeutung enthalten. So
    leugnen die 'Spiritualisten' beispielsweise keineswegs, daß die Prophezeiung, die den
    Messias als 'Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut' schildert, ganz normal
    auszulegen ist. Sie behaupten jedoch, daß, wenn davon gesprochen wird, daß Er 'in den
    Wolken des Himmels kommen wird, diese Redewendung geistlich (mystisch) aufgefaßt
    werden müsse....Die Bezeichnungen, die die beiden Schulen treffend charakterisieren,
    sind 'normal' und 'mystisch‘1.

    Es bleibt festzuhalten, daß der Literalist nicht die Existenz von Bildersprache leugnet.
    Allerdings ist er der Auffassung, daß diese Bilder so auszulegen sind, daß die eigentliche
    Wahrheit, die durch den Gebrauch der Bilder ausgedrückt werden soll, bei der Auslegung
    nicht untergehen darf. Die Symbole wollen also ganz bestimmte Wahrheiten lehren.


    e) Einige Einwände gegen die wörtliche Methode

    Allis nennt drei Einwände gegen die wörtliche Methode der Auslegung:

    1. Die Sprache der Bibel enthält oft sprachliche Figuren. Das gilt insbesondere für die biblische Poesie....
    In der Poesie der Psalmen, im erhabenen Stil der Prophetie und
    selbst in einfachen, historischen Erzählungen tauchen immer wieder sprachliche Figuren
    auf, die ganz offensichtlich weder wörtlich gemeint noch wörtlich zu verstehen sind.

    2. Das große Thema der Bibel ist Gott und Sein errettendes Handeln mit der Menschheit.
    Gott ist Geist, die kostbarsten Lehren der Bibel sind geistlich und diese geistlichen und
    himmlischen Wahrheiten werden oft durch irdische Gegenstände und menschliche
    Beziehungen dargestellt.

    3. Die Tatsache, daß das Alte Testament in das Neue Testament einleitet und auf dieses
    vorbereitet, ist so eindeutig, daß sie keines Beweises bedarf. Als der Apostel Paulus die
    Christen in Korinth warnt und ermahnt, macht er sie auf die Geschehnisse während des
    Auszugs aus Ägypten aufmerksam und erklärt, daß diese Dinge ihnen zum Vorbild (als
    Typus) geschehen seien. Dies meint, da sie kommende Ereignisse vorbildeten. Durch
    diese Aussage bekommt vieles im Alten Testament eine besondere Bedeutung und Gewicht...
    Eine Auslegung, die diesen Aspekt berücksichtigt, erkennt im Licht der neutestamentli-
    ——————

    1 Johann Peter Lange, Commentary on the Holy Scripture: Revelation, Seite 98.
    ——————-
    chen Erfüllungen in den Worten vieler Passagen des ATs eine tiefere und viel schönere Bedeutung,
    als diese allein aufgrund ihres alttestamentlichen Kontextes hätten.1

    Um auf den ersten Einwand einzugehen, sei noch einmal auf den biblischen Gebrauch
    von sprachlichen Figuren verwiesen. Wie schon weiter oben betont, können solche Figuren
    auch verwendet werden, um das eigentliche Anliegen eines Textes viel stärker zu betonen,
    als dies bei normalem Sprachgebrauch möglich wäre. Sie erfordern dann aber keine
    allegorische Auslegung.

    Zum zweiten Einwand: Wir anerkennen, daß Gott geistlich ist, aber die einzige Möglich-
    keit für Gott, Wahrheiten auf einer Ebene zu offenbaren, die wir noch nicht betreten haben,
    besteht darin, Parallelen zu der Ebene zu ziehen, in der wir jetzt leben. Durch die Über-
    tragung dessen, was in der uns bekannten Ebene buchstäblich wahr ist, auf die uns unbe-
    kannte Ebene, wird uns auch letztere enthüllt. Die Tatsache, daß Gott geistlich ist, ist kein
    Argument für die allegorische Auslegung. Man muß zwischen ohnehin Geistlichem und
    Vergeistigtem unterscheiden.

    Nun zum dritten Argument: Es ist klar, daß das Alte Testament vorbereitenden Charakter
    hat und das NT das AT erläutert. Die Fülle der neutestamentlichen Offenbarungen enthüllt
    sich aber nicht durch Allegorisierung alttestamentlicher Typen, sondern vielmehr durch
    buchstäbliche Erfüllung und durch das Entfalten der eigentlichen Wahrheit der Typen.
    Typen können buchstäbliche Wahrheiten lehren, und die Benutzung derselben im Alten
    Testament ist kein Grund für die allegorische Auslegungsmethode. Feinberg bemerkt
    treffend:

    Die Verfechter der allegorischen Auslegungsmethode sind anscheinend der Ansicht, daß jüngere
    Prophezeiungen oder Offenbarungen wertvoller seien als ältere, da sich die Offenbarung ja stufenweise
    ereignet habe. Diese fortschreitende Offenbarung zwingt aber nicht zu einer bestimmten Auslegungsmethode..
    Darüber hinaus beeinträchtigt eine richtige Auslegung von 2. Kor.3,6 unsere Position in keiner Weise.
    Wenn Paulus sagt "der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig",
    autorisiert er damit nicht eine vergeistigende Auslegung der Schrift.
    Wenn damit die wörtliche Auslegung gemeint wäre, müßte man fragen,
    warum Gott dann überhaupt Seine Botschaft durch heilige Schriften übermittelt hat.
    Paulus meint offensichtlich, daß ein bloßes Fürwahrhalten des Buchstaben zum Tode führt,
    wenn nicht der Heilige Geist wirksam wird.2
    ————————

    1 Allis, a.a.O., Seiten 17-18.
    2 Feinberg, a.a.O., Seite 50.

    ————————
    Im HERRN JESUS CHRISTUS, der ist und der war und der kommt, der Allmächtige.
    ——————————————————

    Antonino.S
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